Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Keiner wird weinen

Keiner wird weinen

Titel: Keiner wird weinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
Vom Netzwerk:
antwortete der Unbekannte, »nur Sie können mir helfen.«
    »Wissen Sie, wie spät es ist?«
    »Ja, ich weiß. Und ich bitte nochmals um Entschuldigung. Bitte hören Sie mich an. Die Sache ist die, daß Ihre Nummer vor kurzem
     einer Firma gehörte.«
    »Ja, Star-Service, das bekomme ich zwanzigmal am Tag erzählt.«
    »Ich verstehe, daß diese Anrufe Sie nerven.« Der junge Mann seufzte. »Wahrscheinlich kriegen Sie auch Faxe?«
    »Wer sind Sie, und was wollen Sie?« fragte Vera gereizt.
    »Ich bin der ehemalige Inhaber der Firma Star-Service«, sagte der nächtliche Anrufer nach einer langen Pause leise.
    »Sie wollen sich wohl über mich lustig machen, ja?« Vera warf den Hörer auf die Gabel.
    Nach einer Minute klingelte das Telefon erneut.
    Das ist ja wie in dem blöden Witz, fiel Vera ein. In einer Wohnung rufen den ganzen Tag und bis in die Nacht irgendwelche
     Leute an und fragen nach einem gewissen Iwan. Gegen Morgen, das Opfer ist schon völlig zermürbt, sagt ein Anrufer höflich:
     »Guten Tag, hier ist Iwan. Entschuldigen Sie, hat jemand angerufen und nach mir gefragt?«
    Vera legte ein Kissen aufs Telefon und ging ins Bett. Morgen würde sie ganz früh aufstehen müssen und sich ernsthaft um die
     Suche nach Matwej kümmern. Nein, nicht morgen. Heute.

Sechzehntes Kapitel
    Major Juri Uwarow hörte den knappen Worten der beiden Sachverständigen zu, die den Leichnam des Informanten Wolobujew untersuchten,
     und überlegte, daß er dem Mörder durchaus auf der Treppe oder im Hauseingang hätte begegnen können. Aber soviel Glück hatte
     er nicht gehabt, er war ihm nicht begegnet. Vermutlich war der Mörder über den Dachboden verschwunden. Ja, so etwas hatte
     der Major in all seinen Dienstjahren noch nicht erlebt. Das war der Gipfel der Dreistigkeit – einen Informanten in einer konspirativen
     Wohnung zu töten, ein paar Minuten bevor er, der leitende Ermittler Uwarow, sich mit ihm treffen sollte.
    Am Vormittag hatte der Informant ihn auf dem Pager angerufen und eine Nachricht hinterlassen – wir müssen uns treffen, gleich
     heute. Uwarow wußte: Es mußte etwasAußerordentliches passiert sein. Wolobujew ergriff äußerst selten selbst die Initiative.
    Konnte der Mörder von seinem Anruf erfahren haben? Wenn ja – wie? Hatte Wolobujew in seinem Beisein telefoniert? Ausgeschlossen.
     Das hätte er niemals getan.
    Der Mörder könnte das Gespräch von draußen mitgehört haben. Ja, gut möglich. Es war ein warmer Tag, das Fenster der Werkstatt
     stand offen. Aber andererseits – die Nachricht des Graveurs hätte für sonstwen bestimmt sein können. Vielleicht eine Verabredung
     mit seiner Geliebten. Der Text war völlig neutral gewesen und lieferte einem Außenstehenden keinerlei Informationen. Nur die
     Zeit. Das Treffen war für neunzehn Uhr dreißig verabredet.
    »Wieso versteife ich mich so auf den Anruf?« murmelte Uwarow.
    »Redest du mit mir, Jura?« fragte Hauptmann Malzew.
    »Mit dir auch… Was meinst du, kann der Mörder gehört haben, wie Kljatwa die Nachricht hinterließ? Ja oder nein?«
    »Er könnte ihm einfach gefolgt sein …«
    »Aber woher wußte er, daß niemand in der Wohnung sein würde? Warum hat er ihn nicht im Hauseingang überfallen? Das wäre logischer
     gewesen.«
    Malzew zuckte die Achseln. »Konnte er offenbar nicht.«
    »So einer kann alles«, meldete sich der ältere Sachverständige Gontscharenko. »Ihr müßt nach einem Karatemeister suchen. Und
     zwar nach einem Supermeister.«
    Der Sachverständige zog die Gummihandschuhe aus und ging ins Bad, sich die Hände waschen.
    »Irgend jemand kam zusammen mit Kljatwa ins Haus, und das hat den Mörder abgeschreckt«, mutmaßte Malzew. »Doch ein normaler
     Killer wäre danach nicht in die Wohnung hochgegangen, auf keinen Fall. Selbst wenn derjenige ihn nicht bemerkt hätte.«
    »Ein normaler Killer …« Major Uwarow zündete sich eine Zigarette an und starrte auf das staubige, seit dem letztenJahr nicht geputzte Fenster. »Irgendein Irrer, ein Karatemeister, erledigt meinen Informanten direkt vor meiner Nase. Was
     soll das – persönliche Rache an mir? Eine Demonstration, wie cool er ist? Oder ein Akt von Banditengerechtigkeit?«
    »Jura, er wollte sich nicht rächen und auch nichts demonstrieren«, sagte Malzew leise. »Er mußte Kljatwa rasch aus dem Weg
     räumen. Ihn zum Schweigen bringen. Er hatte es eilig, Jura, sehr eilig.«
    »Na schön, aber wenn ich nun in der Wohnung gewesen wäre? Hätte er dann etwa uns

Weitere Kostenlose Bücher