Keinesfalls Liebe (German Edition)
würden wir rund vier Stunden brauchen, aber je weiter ich von San Bernardino weg kam, desto wohler war mir.
Um sechs Uhr, nach einem kurzen frühabendlichen Snack, krabbelte ich auf den Rücksitz von Seans sympathischer Schrottkarre. Ich freute mich auf Mr und Mrs Richards. Celine hatte erzählt, dass sie sehr kontaktfreudig waren und es liebten, Leute kennenzulernen.
Nach zwei Stunden kündigte mein Handy eine SMS an. Sie war von Daniel. Obwohl wir seit Langem die Nummer des anderen kannten, hatten wir einander noch nicht geschrieben.
Mit schnell klopfendem Herzen öffnete ich die SMS. Schmerz fuhr mir in die Brust; ich hatte sogar ein schlechtes Gewissen, weil ich jetzt nicht da sein konnte.
Hallo Jo. Wollen wir uns treffen? Du könntest hoch zu mir kommen. Und dieses Mal gibt es auch Frühstück und eine Dusche. Ich versprech’s dir. – Daniel
Es tat schrecklich weh, ihm absagen zu müssen. Nach diesem intimen Moment vor seiner Tür war es ihm tausendprozentig nicht leicht gefallen, mir zu schreiben.
Tut mir leid, ich kann nicht. Sean und Celine haben morgen Geburtstag, und wir feiern drüben in Santa Barbara, mit ihren Eltern. Wir sitzen seit zwei Stunden im Auto. Es tut mir wirklich, wirklich leid. Glaub mir. Ich wäre so gern bei dir. Ich vermiss dich. Am Montagnachmittag könnten wir uns treffen, hm? – Liebe Grüße, Jo
Nur zwei Minuten später antwortete er.
Schade. Ich hätte dich gern gesehen. Montag kann ich leider nicht. Familientreffen bei meinem Vater. Ich will ihn nicht sehen … – Daniel
Ich hätte dich auch gern gesehen. Aber wir haben ja alle Zeit der Welt. (Zumindest hoffte ich das …) Wieso gehst du zu diesem Treffen, wenn du ihn nicht sehen willst? – Jo
Pass auf dich auf, Jo. Fahr langsam. Zu diesem Treffen muss ich einfach. Da gibt es kein Wieso. – Daniel
Ich fahr gar nicht, Sean fährt. Ich hab’s ihm ausgerichtet. Er und Celine grüßen dich. Tut mir leid, dass du da unbedingt hin musst. – Jo
Grüße zurück. Ja, mir tut’s auch leid. Also, ich schätze, ich gehe in einen Club. Viel Spaß in Santa Barbara. Bis bald. – Daniel
Du, Daniel. Pass du auch auf dich auf, ja? Ich will dich nicht verlieren. – Jo
Ja, ich pass schon auf mich auch. So schnell wirst du mich nicht los ;) Bis demnächst. – Daniel.
Ja, bis bald!, schrieb ich noch zurück, aber ich bekam keine Antwort mehr.
Das Wochenende bei Sean und Celines Eltern wurde wundervoll und zu genau der Auszeit, die ich gebraucht hatte. Ich lernte auch eine Tante und einen Onkel kennen, zwei Cousinen, einen Cousin und Celines beste Freundin Rebecca. Ich fühlte mich sehr wohl in der geselligen Atmosphäre, und Sean und Celine waren zufrieden mit meinen Gutscheinen und den Karten, in die ich lustige, völlig dämliche Cartoons gezeichnet hatte. Celine umarmte mich lange – sie wollte mich gar nicht mehr loslassen.
Am Samstagabend gab es – auf Wunsch von beiden Geburtstagskindern – eine riesige Paella, in Gedenken an unseren verstorbenen Freund Carlos, der, wie ich erfuhr, oft bei den Richards’ zu Besuch gewesen war und vor seinem ersten Semester an der Uni sogar hier gewohnt hatte. Er schwebte wie ein nicht wahrzunehmender Duft über dem Haus, und es tat mir gut, an ihn zu denken, obwohl es bittersüße Gedanken waren. Ich vermisste ihn sehr und dachte noch immer jeden Tag an ihn – in letzter Zeit eher unbewusst, weil so viel auf mich eingestürzt war.
Als ich in dem Doppelbett im geräumigen Gästezimmer lag, das ich ganz für mich hatte, war ich in Gedanken lange bei Carlos. Ich versuchte, mich an Paul zu erinnern, aber ich sah nur das blonde Haar und die blassblauen Augen, und dann Carlos, wie er diesen Mann küsste.
Irgendwann spät nachts schlief ich ein und wachte morgens um zehn auf. Das Haus war noch still; wir hatten bis drei gefeiert, und nach so viel überschäumender guter Laune hatte jeder den Schlaf bitter nötig. Fast jeder, denn ich war hellwach, nicht ein bisschen schläfrig und kam jetzt auch nicht mehr zur Ruhe. Außerdem verzehrte sich alles, das Jo Müller war, nach Daniel. Mir tat alles weh, weil ich so sehr nach ihm gierte – aber so, wie ich diesen unwiderstehlichen Kerl kannte, lag er momentan schnarchend im Bett und war womöglich später in die Federn gefallen als wir hier in Santa Barbara.
Urplötzlich wurde mir bewusst, dass etliche Kilometer zwischen mir und Daniel lagen. Dieser Gedanke traf mich mit voller Wucht und trieb mir Tränen in die Augen. Mein ganzer Körper
Weitere Kostenlose Bücher