Keks & Drugs & Rock 'n' Roll
Gang. Im Saal baut die Band noch die Bühne ab und singt dabei fröhlich Beatles-Songs vor sich hin. Das ganze Haus schallt davon durch die offenen Türen. Ich bin so glücklich, dass ich meine Mundharmonika zücke und in einer Ecke leise losbläke. Plötzlich kommt ein stämmiger Typ mit Veteranenkäppi zu mir und fragt, wo ich schlafe. Ich antworte ihm stolz; „bei Boolah“. Da macht der Kerl Boolah eine Szene:
„Du bist wohl nicht dicht, du nimmst diesen Typ mit zu dir...“
Aber er winkt nur ab:
„Ruhig Blut Mann! Ich habe ihn durchgecheckt. Dieser Kumpel ist O.K.! Ich habe ihn tanzen sehen.“ Er stößt eine schwungvolle Eins mit seinem Daumen in die Luft und lacht. „Der Mann ist OKAY! Nur keine Panik. H ahaha“
Das schmeichelt mir so, dass ich mich total vergesse und so laut vor mich hin blase, dass ich die Jungs im Saal mit ihrem Kanon in den Schatten stelle. Sie blitzen mich dermaßen sauer an, dass ich merke; auw, ich habe in meinem Übermut Scheiße gebaut. Zur Versöhnung helfe ich ihnen ihre Utensilien auf die Pickups zu packen. Am Ende bedanken sie sich sogar noch, aber sie singen nicht mehr. Kaum ist der letzte Verstärker auch aufgeladen, schließt man schon das Haus, und jeder fährt in seine Richtung.
Die Waldstraße erreichen wir schnell, auf der wir eine Ewigkeit fahren, dann verlassen wir den asphaltierten Weg, und ich denke, wir sind endlich da, aber wir stolpern mindestens noch mal solange über einen holprigen Sommerweg, sodass ich nur noch darauf warte, dass wir die Räder verlieren.
„Äjj, das hätte ich nie gedacht, dass ich je einen kommunistischen Hippie beherbergen würde“ sagt Boolah.
„Tja, bis jetzt wusste ich selber nicht, dass ich einer bin. Bei uns sagt auch keiner: ‘Hey, ich bin ein Hippie.“
„Doch, doch
REGENBOGENKINDER
gibt es überall in der ganzen Welt. Die Hippies sind die Kinder des Regenbogens, weil man sie in jeder Farbe finden kann. Ich habe sie auch in Indien getroffen, sie sind genau wie du und ich, nur ihre Hautfarbe ist anders, und sie mögen auch den Rock’n’Roll... Aber über die Kommies wissen wir hier sehr wenig. Hahaha... unsere Propaganda arbeitet sehr gut. Wenn sie - noch nicht mal so lange her - im Fernsehen über euch berichtet haben, dann immer nur in Schwarz-Weiß oder Grau, selbst Katastrophen oder hungernde Afrikaner haben sie immer in Farbe gezeigt. Ja, die grauen Kommies, von denen zeigen sie nur die schlechte Seite. Mensch, es ist dabei egal, ob du es glaubst oder nicht, Hauptsache, du bekommst nichts anderes zu sehen.“
„Nur keine Panik Mann!“ beruhige ich ihn. „Mir ist es in der Schule genauso beigebogen worden, wie schlecht der Kapitalismus sei, kein Wort über eine positive Seite. Wir sollten darauf warten, dass euer System bankrott macht, und die ganze Welt sozialistisch wird... Dafür habe ich einen schönen Witz aus der DDR: Ein hoher Funktionär hält eine Rede: ‘Der faulende, absterbende Kapitalismus steht am Rande des Abgrunds. Aber! wir sind ihm einen Schritt voraus.’“
Boolah lacht dermaßen los, dass mir schlagartig klar wird, man kann mit einem Witz viel mehr ausdrücken als mit einer abendfüllenden Erklärung.
So komme ich in Fahrt, rede über alles Mögliche, und bewundere, wie Boolah aus meinem unsystematischen Salat immer das W esentliche herausfiltert.
Wir fahren von Zeit zu Zeit an Häusern, die zwischen den Bäumen versteckt schlafen, vorbei, und die Scheinwerfer unseres Autos streifen mal hier mal dort über Autowracks, die verwaist und ausg eschlachtet dem Unkraut trotzen.
Während wir über Schlaglöcher und festgefahrene Autospuren stolpern, nehmen wir den Kommunismus auseinander. Boolah will wissen, warum gerade der Gorbatschow, den Russen etwas anderes gebrach t hätte, und ob dort „im Kommie-Block“ wirklich dauerhafte Änderungen ablaufen.
Ich rede über die Generationen, die nach dem Krieg aufwuchsen und nicht mehr so leicht mit alten Dogmen zu ködern sind.
„Ja, eure Propaganda hat bei uns auch besser gearbeitet, als die eigene. Die Amis hatten ganz clever die Teenies im Ostblock angepeilt, mit Kultur und mit der Musik. Letztendlich hat diese Generation alles ins Rollen gebracht. Ihr habt uns, haha, solange gerockt und gerollt, bis wir von alleine rollen.“ Boolah reißt seine Augen, dann seinen Mund auf und lacht. „Das is gut, Mann.“ Dann reißt er das Lenkrad rum, damit wir in der leichten Linkskurve wieder auf den Weg zurückkommen. „Das ist eine
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