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Kellerwelt

Kellerwelt

Titel: Kellerwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Niels Peter Henning
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gewesen. Was war das hier für ein Gebäude? Wusste sie nicht. Sie
wusste nicht einmal, was er mit „Gebäude" meinte. Wusste sie, wo sich der
Ausgang befand? Nein, wusste sie nicht. Sie wusste auch nicht, was sie sich
unter einem Ausgang vorzustellen hatte. Erst als er von irgendwelchen
Menschenfressern sprach, konnte sie ihm eine Antwort geben. Ja, sie hatte von
diesen Kannibalen gehört. Man nannte sie „Knochenkauer" und es handelte
sich um Bewohner dieser Welt, die gegen die Regeln verstoßen hatten und die
deswegen bestraft wurden. Er fragte nach den Regeln. Hierzu wusste sie nun
wieder keine Antwort. Es ging eben einfach um die Regeln. Jeder kannte die
Regeln. Er schien sie nicht zu kennen und sie hatte keine Lust, ihm alles zu
erklären.
    Und irgendwann verlor er die
Geduld.
    Er blieb stehen und rief
hinter ihr her: „Sag mal, weißt du eigentlich überhaupt irgendetwas? Oder ist
dir einfach nur alles scheißegal?"
    Sie blieb stehen und wandte
sich zu ihm um. Keine schlechte Frage, die er da gestellt hatte. Tatsächlich
gab es nur wenige Dinge, für die sie sich interessierte. Bislang hatte sie
einfach nur hier drin gelebt und ihre Aufgaben erfüllt. Irgendwann hatte sie
immer weniger neue Aufgaben erhalten. Immer weniger Stiche in ihren Armen.
Stattdessen hatte sie dann für den Chef gearbeitet. Als er in der Siedlung
auftauchte, gab es plötzlich jede Menge zu tun. Nach dem Sinn oder dem Zweck
ihrer Aufträge fragte sie nicht. Es interessierte sie nicht. So gesehen konnte
sie die Frage ohne weiteres mit "Ja" beantworten.
    Doch dieser Kerl hier schien
sich für alles Mögliche zu interessieren. Wenn er weiter Fragen stellte und sie
keine Antworten wusste, dann würde er über kurz oder lang ziemlich sauer
werden, da war sie sich sicher. Also musste sie ihm Antworten geben. Und wenn
sie das nicht konnte, dann musste es eben jemand anderes tun. Sie hatte da
schon eine Idee.
    „ Mann, ich weiß eigentlich
überhaupt nichts. Mir ist das alles auch ziemlich egal. Aber ich kenne
jemanden, den du fragen kannst. Ich lebe nämlich in einer Siedlung, weißt du?
Da haben wir einen Chef. Der kennt sich total gut aus. Also, wenn überhaupt,
dann kann der dir helfen."
    Der Kerl zögerte. „Eine
Siedlung?"
    Sie nickte.
    „ Also schön. Eine Siedlung.
Hier drin gibt es also noch mehr Menschen. Aber es gibt keinen Weg nach
draußen. Keinen Ausgang, richtig?"
    Sie wusste nicht recht, was
er meinte. „Mann, wir sind doch gerade draußen. Ich meine, wir sind nicht in
der Siedlung. Also sind wir draußen. Ist doch klar, oder?"
    Der Kerl schüttelte seinen
Kopf und lachte. Das hatte allerdings nichts Lustiges an sich. Dieses Lachen
klang vielmehr, als wolle er sagen: „Sind hier drin etwa alle verrückt? Alle,
außer mir?"
    Doch das sagte er nicht. Er
winkte ab und sagte stattdessen: „Na gut, lassen wir das. Aber beantworte mir
wenigstens eine einzige Frage: Weswegen sollte ich nicht schießen?"
    Nun verstand sie überhaupt
nichts mehr. Der Kerl schien dies an ihrem Gesicht abzulesen, denn er setzte
gleich darauf zu einer Erklärung an. „Unten, in der Kanalisation. Als du mir
das Seil zugeworfen hast. Ich wollte gerade auf dieses schwarze Monster feuern,
da hast du gesagt, ich solle auf keinen Fall schießen."
    „ Ach so, das meinst
du." Nun war der Groschen bei ihr gefallen. „Na ja, das ist wegen dem
ganzen Gas. Ich hatte dem Chef mal erzählt, wie es in dem Loch stinkt. Da
meinte er, man solle mal ein Streichholz in das Loch werfen. Dort unten wäre
genug Gas drin, um hier alles in die Luft zu jagen. Da dachte ich, es wäre
besser, wenn du deine Kanone da unten nicht abfeuerst."
    Als er sie nun angrinste,
lag in seinem Grinsen keine Ironie mehr. „Verdammt, das ist gar nicht mal so
blöd. Da unten muss alles voller Methan sein. Das hätte einen mächtigen Knall
getan. Also gut, dann gehen wir mal zu deiner Siedlung. Aber vorher muss ich
noch eins wissen: Habt ihr schon gegessen?"
    Auch damit wusste sie nichts
anzufangen - und erneut deutete er ihre Miene richtig. Er winkte ab. „Vergiss
es. Hättest du erlebt, was ich erlebt habe, dann wüsstest du, was ich meine.
Sei froh, dass du es nicht weißt ."
    Damit kapierte sie nun
endgültig überhaupt nichts mehr. Also tat sie das, was sie in solchen
Situationen immer tat: Sie tat die Bemerkung mit einem Schulterzucken ab. Es
gab Wichtigeres zu tun. Der Chef würde ziemlich sauer sein, wenn sie diesen
Burschen in die Siedlung schleppte. Und wenn der Kerl dann immer

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