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Kells Legende: Roman (German Edition)

Kells Legende: Roman (German Edition)

Titel: Kells Legende: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andy Remic
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Er erinnerte sich noch an fünf knochige Finger, die über seinem Herzen schwebten … »Komm zu mir, mein Junge, komm zum Schnitter. Wir kümmern uns um dich, wir bringen dich zu dem Uhrwerker, und dort wird es dir gut gehen, du wirst dich königlich amüsieren …«
    Elias schlug die Augen auf. Es war dunkel und kalt, und er war von hölzernen Wänden umgeben. Einen schrecklichen Augenblick lang glaubte er, er läge in einem Sarg, wäre lebendig begraben worden, in fruchtbarer Erde, wo die Würmer versuchten, sich durch die Spalten zu zwängen und seine Augen zu fressen, während er noch atmete … Ein Schrei stieg in seiner Kehle auf, drang blubbernd durch Schleim, während er um sich schlug und seine Hände auf Holz trafen …
    »Wo bin ich?«, krächzte er. Im selben Moment bemerkte er, dass er vollkommen ausgetrocknet war. Er blinzelte, hustete und richtete sich auf. Gleichzeitig wurde ihm klar, dass er nicht in einer Kiste lag, sondern in einer Karre, die über unebenen Boden rumpelte. Er blickte hinab auf seine Hand, an der zwei Finger nur noch zerfetztes Fleisch und zertrümmerte Knochen waren. Er schrie, obwohl er keinerlei Schmerz verspürte, aber er schrie, und seine Schreie hallten durch die Dunkelheit …
    »Still!«, fuhr ein Soldat ihn an. Er rammte Elias den Schwertknauf gegen die Brust und zwang ihn, sich wieder hinzulegen.
    Elias sagte nichts, sondern drückte seine verletzte Hand an seine Brust und blickte sich um, durch einen roten Schleier von Übelkeit hindurch. Dunkelheit und Nebel waberten vor seinem Blickfeld, und hinter diesem Dunstschleier marschierten Soldaten, wie Geister. Zehn, hundert, tausend … Jeder von ihnen hatte ein bleiches Gesicht, glühend rote Augen und weißes Haar, und ihre Rüstungen waren schwarz. Elias beugte sich vor, erbrach sich in seinen Schoß und starrte eine Weile auf die Speichelfäden und das Erbrochene, während er seine Erinnerungen heraufbeschwor und versuchte, das Zusammentreffen mit dieser Kreatur … dem Schnitter noch einmal zu durchleben. Also: Er hatte die Armee gefunden. Aber wie lange war er bewusstlos gewesen? Und wie weit war er jetzt von Leanoric entfernt? Er konnte hundert Meilen weit gereist sein oder sogar tausend. Nein, dachte er und starrte erneut auf seine fleischlosen, knochigen Finger. Im selben Moment traf ihn eine Erkenntnis heftiger als ein Axthieb auf seinen Hinterkopf.
    Seine Hand war verkrüppelt; sie war nur noch ein deformiertes Anhängsel.
    Er konnte nie wieder ein Schwert halten, geschweige denn führen!
    In diesem Moment rannen ihm Tränen über das Gesicht, und sämtliche Würde und sämtlicher Stolz in ihm verpufften. Er wusste in seinem Innersten, dass jeder Mensch irgendetwas mehr fürchtete als alles andere; jeder Mensch hatte einen Punkt, an dem er zerbrach, ob es jetzt Krebs war, der Verlust des Augenlichts oder der Tod von Kindern oder Eltern. Für Elias, den Schwertchampion von Falanor, war es der Verlust seiner Fähigkeit, ein Schwert zu führen.
    Bilder zuckten willkürlich durch seinen Verstand, und ihm wurde klar, dass er sich im Delirium befand.
    Er war wieder ein Junge und übte mit einem hölzernen Schwert …
    Er war ein Mann und unterwies seine eigenen Kinder in der Kunst des Schwertkampfs …
    Er stand zitternd hinter den Vorhängen, als Leanoric seinen Vater, König Searlan, tötete …
    Die Zeit strömte zäh wie schwarzer Honig, ohne jede Bedeutung. Schließlich blieb der Karren stehen, und man gab ihm Brot und Wasser. Doch er erbrach sich, sobald er es heruntergeschluckt hatte. »Lasst ihn!«, befahl eine barsche Stimme. »Wenn er stirbt, dann stirbt er eben!«
    »Nein. Wenn der da stirbt, lässt Graal die ganze verdammte Armee auspeitschen!«
    »Dieser verfluchte Schnitter. Hätte er seine Aufgabe richtig erledigt, hätten wir dieses Problem nicht.« Jemand fluchte in einer gutturalen, fast blechern, unnatürlich klingenden Sprache, und ruppige Hände mit glatter Haut zwangen Elias dazu, noch mehr Wasser zu trinken. Es gelang ihm, dieses Wasser im Körper zu behalten, und nach ein paar Meilen in diesem holpernden, klappernden Karren, der, wie er jetzt bemerkte, von zwei fahlen Wallachen mit milchig weißer Haut gezogen wurde, hielten sie erneut an. Elias wurde hinausgezerrt, und seine Hände wurden ihm mit Golddraht fest auf den Rücken gebunden, so fest, dass der Draht in seine Haut schnitt und er vor Schmerz aufschrie. Es fühlte sich an, als würde er von Insekten gefressen. Er warf einen Blick nach

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