Kells Legende: Roman (German Edition)
worden waren, um die Dunkelheit zu vertreiben.
»Es tut mir leid«, sagte Kell schließlich und drehte sich zu den Mädchen herum.
»Was tut dir leid?«, wollte Kat wissen, die ihn mit großen Augen ansah.
»Dass ich euch auf dem Boot alleingelassen habe. Das war dumm. Ich hätte bei euch bleiben sollen. Ich hätte wissen müssen, dass ihr abgetrieben würdet, wenn ich von Bord sprang, und dass ihr dann alleine zurechtkommen musstet. Mein Verhalten war … ziemlich dumm.«
»Aber, wärst du bei uns geblieben, wäre Saark gestorben«, widersprach Kat.
Kell zuckte kurz mit den Schultern. »Vielleicht, aber so wärt ihr beide beinahe gestorben … und hättet zuvor noch ein schlimmeres Schicksal erlitten, jedenfalls hat Saark das erzählt. Diese Waldläufer … ich kenne ihresgleichen. Es sind wilde Gesellen, und wenn der Canker nicht gekommen wäre, säßet ihr immer noch da und würdet ein schrilles Klagelied singen, während euch die Haut in Streifen von Rücken und Hintern herunterhängen würde.« Er bemerkte ihre weit aufgerissenen Augen und ihre bleichen Wangen und hustete. Dann holte er tief Luft. »Entschuldigung. Hört zu, ihr bleibt von jetzt an bei mir, verstanden?«
»Saark wird ebenfalls auf uns aufpassen«, antwortete Kat. Ihr rundes Gesicht wirkte in dem schwindenden Tageslicht unschuldig. Der Mond war aufgegangen, eine blasse Scheibe von der Farbe toten Fleisches, während die Sonne den westlichen Horizont in ein strahlendes Purpur tauchte.
»Hütet euch vor Saark«, warnte Kell die beiden.
»Vertraust du ihm nicht?«, erkundigte sich Nienna überrascht.
»Ich kenne den Mann kaum«, erwiderte Kell schlicht. »Er hat sich uns in der Gerberei angeschlossen und, ja, ich habe ihm das Leben gerettet, aber das war einfach … eine menschliche Regung. Instinktiv. Ich verfluche diesen Moment!« Er lachte bitter. »Ich habe den Eindruck, dass die Poeten schon aus geringeren Anlässen Gedichte über einen schreiben.«
»Er ist vollkommen vertrauenswürdig«, behauptete Kat und nickte wie zur Bestätigung vor sich hin, während sie nach vorn starrte. »Ich weiß es, ganz tief in meinem Herzen.«
»In deinem Herzen , Mädchen?« Kell lächelte wissend. »Ich habe gesehen, wie er dich anblickt. Und du hast es auch gesehen. Aber ich warne dich; vertraue Saark nicht und schon gar nicht in diesem Punkt. Er hat hundert Frauen vor dir genossen, und er wird auch noch hundert Frauen nach dir haben.«
Kat lief rot an. »Ich warte auf den richtigen Mann, den ich heiraten werde! Ich bin nicht … leichtfertig, Kell. Saark kann mich ansehen, so viel er will, ich kenne seine Art, und ich weiß auch, was für einen Mann ich will. Ja, Saark sieht gut aus; ich habe noch nie zuvor an einem Mann solches Haar gesehen. Und er hat die Gabe der silbernen Zunge, wahrscheinlich in mehr als nur einer Hinsicht, wie ich vermute …«, Nienna kicherte bei diesen Worten, »aber ich bin stolz auf meine Tugend«, fuhr Kat fort. »Ich weiß, dass da draußen irgendwo ein guter Mann auf mich wartet. Ich brauche Euren … väterlichen Rat nicht.« Sie kniff die Augen zusammen. »Ich kann sehr gut auf mich selbst aufpassen.«
»Wie du meinst«, antwortete Kell knapp und blickte wieder auf die verschneiten Felder. »Aber eines solltest du wissen: Saark ist kein Ehrenmann. Er wird zu dir kommen, weil er deinen Körper will.«
»Kein Ehrenmann? Na und! Ich nehme an, Ihr seid ebenfalls kein …«
»Was soll das denn heißen?«, fuhr Nienna Kat in die Parade und sah ihre Freundin böse an. »Du sprichst mit meinem Großvater! Dem Helden von Kells Legenden! Hast du im Geschichtsunterricht nicht aufgepasst? Kennst du die Geschichten über die alten Kämpfe nicht? Er hat die Schlacht um Crakes Wand entschieden und die wilden Horden in den südlichen Dschungeln zurückgeschlagen!« Ihre Wangen wurden rot vor Ärger, und sie hatte die Fäuste geballt.
Kat warf einen Seitenblick auf Kell, der immer noch über die Felder blickte. »Schon gut, Nienna.« Seine Stimme war nur ein Flüstern. Dann wandte er sich an Kat. »Du redest von dem Vorfall in der Gerberei, stimmt’s, Mädchen?«
Kat nickte.
Kell fuhr fort. »Ja. Ich war unbarmherzig und gnadenlos dir gegenüber, aber damit habe ich dich aus deiner Erstarrung gerissen, zum Handeln veranlasst! Wenn du dich weiterhin auf deine Verletzungen konzentriert hättest, auf deine Furcht, hättest du uns alle noch umbringen können. Ich konnte nicht zulassen, dass du Niennas Tod verschuldest, selbst
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