Kells Legende: Roman (German Edition)
Weg aus der Stadt hinaus? Hier sind zu viele von diesen Mistkerlen.« Sie spie auf den Boden.
»Sie werden die Tore bewachen. Diese ganze Situation stinkt zum Himmel, Kat. Ich habe diese Art von … Massaker schon einmal erlebt. Diese Eiserne Armee will nicht, dass irgendjemand entkommt; sie wollen nicht, dass irgendjemand ihnen den Plan zunichtemacht. Wenn man zum Beispiel König Leanoric benachrichtigen würde …«
»Genau das ist unsere Aufgabe!«, erklärte Katrina.
»Nein, Mädchen. Unsere Aufgabe besteht darin, zu überleben. Alles andere … kommt später.«
Kell fühlte sich immer noch äußerst unbehaglich, wenn er der Wahrheit die Ehre geben wollte. Welche Eroberungsarmee begnügte sich damit, einfach nur alle Einwohner einer eroberten Stadt zu ermorden und weitere Gräueltaten zu begehen? Das war einfach nicht logisch. Wieso sollten sie alle Bäcker abschlachten, die den Soldaten doch Brot backen konnten? Oder die Huren und Tänzerinnen ermorden, die ihnen Unterhaltung hätten bieten können? Soldaten funktionierten nur so gut wie ihre Mägen, und sie kämpften dann am besten, wenn sie befriedigt waren. Nur ein wahnsinniger General würde ein vollkommen unsinniges Gemetzel befehlen. Kell hatte jedoch genau das schon einmal gesehen, und zwar während der Tage des Blutes. Es waren schlimme Tage gewesen, schlimme Monate. Kells Mund wurde trocken, als er daran dachte. Eine bittere Zeit war das gewesen, wie damals, während der Pest.
Die Tage des Blutes …
Ein düsteres Flüstern schien in seiner Seele zu hallen.
Ein Splitter. Ein Splitter aus Hass, aus Bedauern.
Du hast mitgemacht, Kell. Du hast sie alle getötet, Kell.
Visionen waberten durch seinen Kopf. Fragmente von Erinnerungen blitzten auf. Rot und leuchtend, bruchstückhaft, der Widerhall einer Zeit des Schreckens. Schreie. Gemetzel. Wimmern. Stahl, der sich methodisch durch Fleisch und Knochen fraß. Würmer, die Haut verzehrten. Augen. Blut, das in Strömen in die Kanalisation lief. Flüsse aus Blut. Soldaten, mit von Blutdurst verzerrten Gesichtern; Wahnsinn, nackter, blutverschmierter Wahnsinn, Exkremente und Erbrochenes überall, während Leute durch die Straßen rannten, Schwerter und Messer in den Händen, und ihre Leiber mit Trophäen ihrer Opfer schmückten … mit Händen, Augen, Ohren …
Kell schwankte, als ihm schlecht wurde. Er unterdrückte die schrecklichen Visionen und fuhr sich mit seiner behandschuhten Linken durch seinen dichten Bart. »Fahrt alle zur Hölle!«, murmelte er, während er eine schreckliche Schwere in sich spürte, die von seinem Hirn zu seinem Bauch herabsank, wie ein bleiernes Gewicht, das seine Seele zu seinen Stiefeln hinabzuziehen und aus seinem Körper zu vertreiben schien.
»Ihr seht krank aus.« Kat legte eine Hand auf seine breite Schulter unter dem Bärenfell.
»Nein, Mädchen, mir geht es gut.« Er schüttelte sich und setzte flüsternd hinzu: »Jedenfalls an meinem Todestag.« Dann fuhr er lauter fort. »Kommt. Ich sehe einen Gang unterhalb der Gerberei.«
»Das ist ein ganz übler Ort«, erwiderte Kat und sträubte sich. »Mein kleiner Bruder hat die Aborte gesäubert, die in der Gerberei benutzt werden, und hat sich dort eine schreckliche Krankheit geholt, an der er schließlich gestorben ist. Ich habe geschworen, dass ich diesen Ort niemals betreten werde.«
»Entweder gehst du mit hinein oder du stirbst«, erklärte Kell. Er klang nicht einmal unfreundlich.
Kat fügte sich mit einem Nicken ins Unvermeidliche und folgte Kell und Nienna über die Straße. Sie gingen geduckt und langsam, die Waffen bereit und in gespannter Aufmerksamkeit. Als sie sich dem Gang näherten, schlug ihnen ein unglaublicher Gestank entgegen, eine Mischung aus Verwesung und Fett, Hundekot, Urin und den Resten von Tierhirnen. Kell drang in den Gang ein, watete durch den morastigen Schlamm und ging dann die ausgetretenen Ziegelstufen hinauf in einen Raum, in dem Häute hingen, die noch enthaart, sowie von Blut und Fett gereinigt werden mussten. Sie wirkten unheimlich. Wie sie da auf blutverkrusteten Haken hin- und herschwangen. Es waren vielleicht hundert Häute, die hier auf ihre Weiterverarbeitung warteten, um schließlich irgendwann als Wasserschläuche, Rüstungen, Schwertscheiden oder Stiefel zu enden. Kell trat über Rinnen hinweg, in denen Abfälle von Hirnen lagen.
»Was ist das?« Nienna würgte.
»Wenn die Häute kommen, muss man sie von trockenem Fett und Fleisch reinigen. Dann weichen die Gerber diese
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