Kells Legende: Roman (German Edition)
verfluchten, belagerten Leichenhaus von Stadt fliehen.«
Saark nickte und trat näher zu Nienna und Kat. »Sehr erfreut, die Damen.« Die beiden jungen Frauen erröteten, und Saark lachte; es war ein perlendes Lachen, wobei er mit seinen Blicken die Mädchen von Kopf bis Fuß maß.
»Saark!«, fuhr Kell ihn an. »Im Moment geht es um wichtigere Sachen. Zum Beispiel darum, dass unser Leben bedroht ist.«
Saark schnalzte missbilligend und sah sich um. Doch trotz seines Lächelns, seiner eleganten Kleidung und seiner geschliffenen Sprache registrierte Nienna die Anspannung in dem Mann; wie ein Schauspieler auf einer Bühne spielte er eine Rolle, wie er es schon tausendmal gemacht hatte, und genoss seinen Auftritt. Aber diesmal war sein Vortrag von einem Gefühl untermalt, das seine Maske Lügen strafte.
Furcht.
Sie lauerte in seinen Augen, machte sich in seiner Haltung bemerkbar, in dem kaum wahrnehmbaren Zittern seiner Hand. Doch Nienna bemerkte es trotzdem. Sie liebte es, Leute zu beobachten, und sie war sehr gut darin.
Saark holte tief Luft. »Woher wusstest du, dass ich hier versteckt war?«
»Ich konnte dich riechen.«
»Du konntest mich riechen?« Saark grinste und schüttelte den Kopf, aber sein Gesicht war verzerrt. »Ich kann nicht glauben, dass du mich in diesem Gestank riechen konntest. Ich bilde mir eigentlich ein, dass ich recht gepflegt bin.«
Kell war mittlerweile an ein Fenster getreten, hielt etwas Abstand von den hölzernen Fensterläden und beobachtete die Soldaten am Fluss. Jetzt drehte er sich um und warf Saark einen gereizten Blick zu. »Es war dein Parfüm.«
»Ah! Eau de Pétale! Das beste, exquisiteste und kostspieligste …«
»Schon gut. Wir müssen hier weg. Wir können durch das Abflussrohr entkommen, durch das sie das Tannin zum Fluss hin entsorgen. Wenn wir in den Keller kommen, werden wir ganz bestimmt …«
»Warte.« Saark schob sich an Kell vorbei und trat ans Fenster, legte eine Hand mit den manikürten Fingernägeln auf die Jalousien, und die andere auf den Griff seines Rapiers. Plötzlich wirkte Saarks Äußeres nicht mehr ganz so lächerlich.
»Was ist denn?«
»Diese Kutsche. Ich kenne sie.«
Kell warf einen Blick nach draußen. Eine Kutsche war neben einem Käfig mit weinenden Gefangenen zum Stehen gekommen; es waren ausnahmslos Frauen. Die Kutsche glänzte schwarz, und auf ihrem Schlag war ein verschlungenes Wappen aufgemalt. Die Pferde stampften und kauten auf ihren Trensen, entweder weil der Gestank der Gerberei sie aufregte oder das gequälte Stöhnen der Frauen. Der Kutscher hatte alle Hände voll zu tun, die vier Tiere unter Kontrolle zu halten, deren Hufe laut auf dem vereisten Pflaster klapperten.
»Nun, den da kenne ich jedenfalls«, schnarrte Kell, als General Graal zu der Kutsche ging und seine Arme verschränkte. Seine Rüstung glänzte. Er fuhr sich mit der Hand durch sein langes weißes Haar, wie ein Tier, das sich putzte. »Dieser Mistkerl ist der Anführer dieser Armee. Er hat sie die Eiserne Armee genannt.«
»Du kennst ihn?« Saark sah Kell an.
»Dieser Mistkerl hat ein paar von seinen Soldaten losgeschickt, um mich und die Mädchen zu töten.«
»Wie ich sehe, waren sie alles andere als erfolgreich.«
»Ich sterbe nicht so schnell«, erklärte Kell.
»Davon bin ich überzeugt, mein Alter.« Saark lächelte und blickte dann wieder zum Fenster hinaus. Die Tür der Kutsche wurde von einem Lakaien geöffnet, und ein Mann trat heraus. Er trug Pelze und hielt sich gegen die Kälte des Eisrauchs ein Tuch vor das Gesicht. Noch während sie ihn beobachteten, ließ er es sinken, weil es seine Aufgabe erfüllt hatte. Der Mann hatte schulterlanges, glänzendes, schwarzes Haar.
»Wer ist das?«, erkundigte sich Kell.
»Das da«, Saark starrte Kell scharf an, »ist Dagon Trelltongue.«
»Der Berater des Königs?«
Saark nickte. »König Leanorics vertrauenswürdigster Ratgeber. Er ist sozusagen der königliche Regent, wenn der König selbst geschäftlich unterwegs ist.«
»Und was ist mit Alloria?«
»Der Königin?« Saark lächelte. »Wie ich sehe, Kell, wurdest du nur sehr wenig in Adelskunde unterwiesen, oder, genauer gesagt, in der Geschichte der königlichen Familie. Es wäre für eine Frau höchst unschicklich, in Abwesenheit des Königs zu regieren; möchtest du, dass sie sich mit dem gemeinen Volk trifft? Oder mit Hauptleuten und Generälen verhandelt? Doch wohl eher nicht.«
»Aber was«, wollte Kell verärgert wissen, »will Trelltongue
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