Kells Rache: Roman (German Edition)
wenn auch nicht unbedingt hören konnte. Sie zerteilten die Leichen, entzogen ihnen das Blut und verfeinerten es zu Blutöl: die Nahrung für die Welt der Vachine.
Der Bärtige drehte sich um und sah eine Weile zu. Dann schnalzte er missbilligend mit der Zunge. Graal starrte ihm in die Augen, und der Mann senkte den Kopf.
»Gibt es ein Problem?«
»Kradek-kas Tochter.«
»Sie war schon immer ein Problem.«
»Behandelt mich gefälligst nicht so herablassend, Graal: Ihr wisst genau, dass allein ihre Existenz der Anlass ist, warum Ihr jetzt hier steht. Ihr wisst, dass die Experimente, die Kradek-ka an ihr vorgenommen hat, der eigentliche Grund sind, warum wir dies hier überhaupt tun können; ohne sie, ohne Anukis und ihr«, er lachte, »ihr Juwel gäbe es nicht einmal den Versuch, Kuradek, Meshwar und Bhu Vanesh zurückzuholen.«
»Natürlich habt Ihr recht.« Graal straffte sich. Hinter ihnen arbeiteten die Schnitter weiter, hoben Leichen auf und schoben sie in die Raffinerien. In deren Innerem hörte man jetzt die Mechanik arbeiten; dazu das Zischen von riesigen, pendelnden Klingen.
Graal blickte an der gewaltigen Wand der Raffinerie empor und richtete seinen Blick dann wieder auf Viga. Er streckte die Hand aus, um sie dem Mann beruhigend auf den Arm zu legen, doch der zuckte zurück.
»Nein. Ihr dürft mich nicht berühren. Ich bin unrein!«
»Wir sind alle unrein«, erwiderte Graal und legte den Kopf ein wenig auf die Seite. Er erkannte jetzt, dass dieser Mann vor ihm jederzeit zerbrechen konnte; es war ein Vachine, der auf der rasiermesserscharfen Klinge zwischen Zurechnungsfähigkeit und Wahnsinn balancierte.
»Wir hätten sie niemals so behandeln dürfen. Es war falsch von uns, sie zu bedrängen, sie derartig zu demütigen!«
»Es ist viel zu spät für Bedauern«, antwortete Graal unbewegt.
»Keineswegs! Sie ist entkommen, hat sich auf die Suche nach ihrem Vater gemacht! Niemand sollte eine solche Demütigung über sich ergehen lassen müssen!«
»Nun, dann wird sie uns die Suche nach ihm ersparen.« Graals Stimme klang jetzt hart. Die Schwäche dieses Mannes fing an, ihn zu nerven. Er empfand sehr großen Respekt für Viga, vor allem weil er Kradek-kas vertrauenswürdigster Ingenieurassistent gewesen war. Aber dieses Jammern? Jammern bedeutete Schwäche, und Graal hasste Schwäche. Er legte seine Hand auf den Griff seines Schwertes.
»Diese ganze Situation ist absolut scheußlich«, fuhr Viga fort.
Graal zückte sein Schwert und schüttelte den Kopf. Dann trat er mit einem Schritt zu dem Mann, und die Klinge seiner Waffe berührte dessen Kehle. Der kalte schwarze Stahl presste sich gegen die Haut, und Viga fuhr mit einem wütenden Zischen seine Reißzähne aus. Aber Graal legte sein ganzes Gewicht hinter die Klinge. Blut quoll über die rasiermesserscharfe Schneide, und er spürte, wie Viga sich entspannte. »Es ist zu spät, um jetzt zu kneifen.« Graals Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.
»Das weiß ich. Es ist nur … sie war eine unschuldige Vachine! Wir haben ihr Leben ruiniert!«
»Sie ist Vergangenheit«, erwiderte Graal. »Also schweigt still und entspannt Euch; die Raffinerien müssen arbeiten, und wir müssen einen Vorrat an Energie sammeln … einen Vorrat an Magie! Nur wenn die Raffinerien auf höchster Stufe laufen, können wir die Kriegsfürsten der Vampire zurückholen!«
»Aber Ihr verfügt nicht über die Seelengemmen!«, wimmerte Viga hinter Graals Klinge.
»Daran arbeite ich gerade«, knurrte Graal und schob seine Waffe in die Scheide.
Viga war verschwunden. Graal saß mit gekreuzten Beinen auf dem Boden und sah zu, wie die letzten Leichen in die riesigen Maschinen gespeist wurden. Er sah sich um, während die Schneeflocken vor ihm im Wind tanzten. Der Horizont war von einem grauen Schleier verdeckt, ebenso wie Graals Erinnerung.
Schweigend wurden die letzten Leichen der Einwohner Falanors in die Metallschlitze geschoben. Dann taten die Schnitter etwas höchst Merkwürdiges. Jeder der drei trat vor seine jeweilige Blutraffinerie, spreizte Arme und Beine weit auseinander, während sie zu den blanken Metallwänden schlurften. Sie bildeten einen starken Kontrast zu den riesigen mattschwarzen Eisenplatten. Und dann … dann verschmolzen sie damit, versanken in dem Metall der Raffinerien, wurden einen Augenblick lang eins mit den Maschinen, während Fleisch zu Metall und Eisen zu Fleisch wurde. Graal blinzelte, leckte sich die Lippen und wurde einen Augenblick nervös.
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