Kells Rache: Roman (German Edition)
der Energie? Das Anschwellen nutzbarer Macht?«
»Nein. Das werde ich später wahrnehmen, in den dunklen Stunden.«
Die Schnitter hoben ihre langen Arme, die langen Knochenfinger ausgestreckt, und für einen Zuschauer hätte es einen Moment lang den Anschein gehabt, als würden sie Graal angreifen, ihm den Kopf von den Schultern schneiden, die Haut von seinen Vachine-Knochen schälen. Das taten sie jedoch nicht. Stattdessen verbeugten sie sich tief vor ihm, machten einen Kotau, drückten ihre Gesichter auf die Erde in einer nahezu beispiellosen Zurschaustellung von Respekt, den sie ganz sicherlich niemals irgendeinem anderen Vachine erwiesen hätten. Die Schnitter akzeptierten Graal als ihren Meister. Er lächelte, riss sich zusammen, bezwang seine Neigung zum Wahnsinn, zu einer nahezu panischen Hysterie. Diese Kreaturen waren furchteinflößend mächtig, so dass ihre Respektbezeugung, deren Graal jetzt Zeuge wurde, eine Verbeugung vor dem war, was er noch erlangen würde; ihre Reverenz galt der Zukunft, nicht dem Vergangenen.
Die Kriegsfürsten der Vampire.
Die Schnitter erhoben sich. »Was ist mit den Seelengemmen?«, erkundigte sich einer von ihnen.
»Kradek-ka sucht nach der letzten verbliebenen Gemme; die beiden anderen sind … einstweilen in Sicherheit. Aber er weiß, wo er suchen muss. Wir hatten … Hilfe.«
»Wird er stark bleiben?«
»Ja. Trotz seines Wahnsinns.«
»Dennoch, gibt es nicht noch einen Dorn, der herausgezogen werden muss?«
Graal nickte. »Kell. Der Schwarze Axtkämpfer von Drennach. Das weiß ich.«
»Was wirst du tun?«
»Ich habe die Seelenfresser geschickt«, sagte er. »Kell ist ein toter Mann.«
4
ECHOS EINER FERNEN ZEIT
Eine undeutliche Gestalt fegte an Kell vorbei, dessen Blick starr auf die schwarze Klinge gerichtet war, die nach seiner ungeschützten Kehle schlug. Kell wusste, dass er hier sterben würde, halb begraben unter Trümmern. Ihm dröhnte noch der Schädel von der Wucht der Shamathe- Magie. Er hatte so etwas noch nie gefühlt, etwas so Seltsames, aber jetzt nahm er die undeutliche Bewegung aus den Augenwinkeln wahr. Sie prallte gegen Jekkron, den großen Albino-Krieger. Blinzelnd registrierte Kell, dass es Skanda war, der dürre kleine Junge. Skanda hatte Arme und Beine weit ausgebreitet und sich um Jekkron gewickelt, der einen Schritt zurücktrat. Die Miene des Albinos verzog sich vor Ärger, weil er am tödlichen Schlag gehindert wurde. Dann hob er eine Hand, als wollte er diesen lästigen Jungen, der sich an ihn klammerte, einfach beiseitewischen. Im nächsten Moment jedoch begann er zu schreien, und einen Herzschlag später steigerten sich seine Schreie zu einem schrillen, lauten Kreischen, wie dem einer Frau, der man die Haut abzog, oder dem eines Tieres, das ausgeweidet wurde … Skanda hatte sich nicht einfach um Jekkron gewickelt, sondern er bohrte sich in den Mann hinein, sein Kopf zuckte nach links und nach rechts, er biss zu und riss Fleischbrocken aus dem Körper des Kriegers. Seine Hände und Füße hatten plötzlich Krallen, die ebenfalls den Körper des Albino-Soldaten malträtierten. Der taumelte jetzt, ließ sein Schwert fallen und hämmerte mit beiden Fäusten auf Skanda ein. Der hatte sich jedoch mittlerweile bereits etliche Zentimeter in Jekkron hineingefressen und riss ihm mit schrecklicher, magischer Kraft Haut und Muskeln von der Brust, vom Bauch und den Schenkeln. Dann sprang Skanda von dem Mann herunter und landete auf dem Boden, die Haut und die Muskeln des Kriegers wie einen dicken, weißen Umhang umgelegt. Jekkron stürzte zu Boden, bewusstlos, nur Sekunden vom Tod entfernt. Blut strömte aus seinem Körper wie Wasser aus einem umgekippten Kessel.
In all dieser Verwirrung sah nur Lilliath, was tatsächlich passierte. Der Rest der Soldaten war einfach nur Zeuge, dass ihr Anführer verrückt geworden zu sein schien und sich selber schlug. Lilliath jedoch sprang hastig zur Seite, über einen Haufen Trümmer – und fand sich einem Esel gegenüber. Die Albino-Hexe blieb stehen, ihr wirres Haar wehte in der Luft. Mary, der Esel, drehte sich langsam herum, und mit einem bösartigen Brüllen hämmerte sie beide Hinterhufe in das Gesicht der Shamathe . Die flog zurück über den Haufen von zerborstenen Ziegeln.
Als Jekkron sein Bewusstsein wiedererlangte und nach Luft schnappend wie ein Fisch versuchte aufzustehen, trotz seiner abhandengekommenen Albinohaut, knurrte Kell und rappelte sich ebenfalls hoch. Skanda stand vor ihm und starrte
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