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Kells Rache: Roman (German Edition)

Kells Rache: Roman (German Edition)

Titel: Kells Rache: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andy Remic
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verstehen kannst.« Sie drehte sich um und starrte Nienna an. »Es ist nicht das Töten, das mir zusetzt. Ich habe Priester ermordet, denen ihre mit Troddeln verzierten Hosen in den Kniekehlen hingen. Nein. Es ist der Verlust. Der Verrat. Ich verstehe das nicht.« Dann lachte sie und rappelte sich mühsam auf. Sie rieb sich die Augen und blickte in den Wald hinein, in dem es heller wurde, als der Morgen anbrach. »Es hätte nicht so enden dürfen«, flüsterte sie. »Wir hätten stärker sein müssen.«
    »Myriam?« Nienna streckte die Hand aus und berührte den Arm der Frau.
    Die Brigantin wirbelte herum, und ihr Gesicht war eine animalische Fratze des Hasses. Der Witwenmacher zielte direkt in Niennas Gesicht. »Fass mich nicht an!«, fauchte sie. »Wenn du mich noch einmal berührst, schieß ich dir deine verdammte Visage weg!« Mit diesen Worten wirbelte sie herum und marschierte zwischen den Bäumen davon. Sie ließ eine vollkommen schockierte und kalkweiße Nienna zurück, die sich umdrehte und auf den langsam erkaltenden Leichnam von Styx starrte.
    Nienna saß lange einfach nur da und beobachtete, wie Styx steif wurde. Sie hatte den Tod noch nie so gesehen, so nah, so beiläufig. Und sie war noch nie zuvor die geistige Gefangene einer Leiche gewesen.
    Es sollte mir gefallen, dachte sie.
    Ich sollte Freude empfinden.
    Sie stellte sich Katrinas Gesicht vor. Katrina, die von Styx ermordet worden war. Er hatte das blühende Leben der jungen Frau viel zu früh beendet. Und das hier war ihre Rache! Das war ihr Augenblick! Zeit für Nienna, über ihre Gefühle nachzudenken und eine Art von Abschluss zu finden.
    Es sollte wundervoll sein, dachte Nienna.
    Aber wenn das Rache ist, warum fühlt es sich dann so falsch an?
    Schließlich stand sie auf, reckte sich und ging zu den Satteltaschen, die ihre kleine Gruppe mitgenommen hatte. In der Nähe wieherte leise ein Pferd. Nienna wühlte in den Taschen, bis sie einige zwiegebackene Weizenbrote fand. Dann setzte sie sich auf einem Baumstamm und aß, langsam, mit kleinen Bissen. Dabei sank ihr Blick immer tiefer, vorbei an Styx’ schockiertem und zerstörtem Gesicht, an seinen von dem berauschenden Blutöl verfärbten Lippen, zu dem Witwenmacher, der auf dem gefrorenen Boden lag. Styx’ Finger krümmten sich selbst im Tode noch um den Griff. Nienna aß weiter. Ob es schwierig ist, ihn zu benutzen?, dachte sie. Aber wie schwer kann das schon sein?
    Sie stand auf, als sie das Brot gegessen hatte. Myriams Stimme schnitt durch Niennas Fluchtgedanken.
    » Täusch dich ja nicht«, sagte die Frau leise. »Damit schi eßen zu können kostet Wochen der Übung. Und gegen jemanden wie mich, mit meinem tödlichen Auge, der ruhigen Hand und dem Blick des Jägers, und dazu der Bereitschaft zu töten, eine Bereitschaft, die du niemals erwerben wirst …?« Myriam trat aus den Schatten der Bäume. »Mädchen, du würdest sehr schnell sterben.«
    »Ich habe nicht …«
    »Schweig.« Myriam hob einen Finger. »Durchsuche Styx’ Satteltaschen. Nimm alles, was du gebrauchen kannst, und lass den Rest hier. Wir reiten los.«
    »Wollten wir nicht auf Kell warten?«, erkundigte sich Nienna kläglich.
    »Das werden wir auch. In der Festung Cailleach.«
    »Aber sagtest du nicht, dort würde es spuken?«
    Myriam grinste. Ihr vom Krebs gezeichnetes Gesicht wirkte eingefallen und hager. »Wir sollten besser einen Pakt mit diesen Geistern schließen, Kind. Denn falls Jex zurückkommt, brauchen wir eine Festung, um ihn abzuwehren. Er ist ein sehr erfahrener Krieger.«
    »Kell wird ihn töten«, behauptete Nienna. Ihre Augen leuchteten hoffnungsvoll.
    »Vielleicht«, antwortete Myriam und nahm ihren Bogen. »Vielleicht.«
    Sie ritten durch die winterliche Landschaft über schmale, unbekannte Pfade und zwischen bewaldeten Hügeln hindurch. Myriam kannte diese Pfade und Wege offenbar wie ihre Westentasche; nicht ein einziges Mal zögerte sie, wenn sie eine Weggabelung erreichten oder an eine Kreuzung gelangten, von der mehrere Pfade abführten. Nienna ritt auf Styx’ Pferd und überlegte oft, ob sie einen Fluchtversuch unternehmen sollte. Aber der Witwenmacher hing dicht neben Myriams rechter Hand, und allein schon ihre Geschicklichkeit im Umgang mit ihrem Langbogen aus Eibenholz sorgte dafür, dass Nienna es sich anders überlegte. Myriam hatte Nienna erzählt, dass die kleine, von einem Uhrwerk angetriebene Armbrust auf hundert Schritte Entfernung töten konnte; Nienna wollte nicht ausprobieren, ob das

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