Kells Rache: Roman (German Edition)
Augen blitzten vor Ärger.
»Wo ist der Junge?«
»Weg.« Saark wurde plötzlich müde und rieb sich die Nase. Um ihn herum loderten fauchend die Flammen, und Kell blickte drei Schwarzlippler böse an, die auf sie zukamen. Als sie seine blutige und von Knochensplittern und Hirnmasse strotzende Axt sahen, überlegten sie es sich anders und verzichteten auf einen Angriff. »Ich wurde … eine Vachine hat mich in einen Hinterhalt gelockt. Skanda hat mir geholfen, durch irgendeine merkwürdige, uralte Magie. Wie aus dem Nichts tauchte dieses ganze Ungeziefer auf. Ich hatte das Gefühl, dass er uns nicht länger brauchte. Jedenfalls ist er verschwunden.«
Kell nickte. »Wir brauchen unsere Pferde.«
»Und den Esel«, meinte Saark.
Kell warf ihm einen gereizten, boshaften Blick zu. »Und den Esel«, lenkte er dann ein.
Im Schatten eines Kirchturms betrachtete Jageraw die Ereignisse. Als der Schnee fiel, hatte er diesen fetten, alten Krieger mit der schrecklichen Axt gesehen, die zu ihm sprach, die ihn kannte . Und er hatte den geschniegelten Dandy beobachtet und die beiden todeskalten Seelenfresser … oh, wie er sie kannte, er kannte sie als jene von Graals Blut, Graal , der böse Mann, der gemeine Mann!
Jageraw rieb sich die Brust, rieb die brennende Stelle dort. Der Schmerz wurde immer größer und würde nicht aufhören, bis er sein Ziel erreicht hatte. Aber es war noch ein langer Weg, ein schrecklicher Weg. Nichts Schönes wartete am Ziel auf ihn, gar nichts Nettes!
Stundenlang beobachtete er, wie die Banditen der Schwarzlippler ihr blutiges Werk beendeten. Erst als der kalte Morgen graute und die Stadt bis auf die Leichen vollkommen verlassen war, kletterte Jageraw ruhig von dem alten Kirchturm hinunter. Er kroch mit seinem Beutel durch die Straßen, schnitt hier ein Herz heraus, eine Niere dort, verschmähte auch eine Milz nicht und erst recht keine schmackhafte, kostbare Lunge.
Als der Sack schließlich von Organen förmlich überquoll, rand voll mit feuchten, wabbeligen Köstlichkeiten war, schla ng er ihn sich über die Schulter und ging zum Wald, über Pfade, die von Menschen nicht länger benutzt wurden.
Stunden waren vergangen, und es war dunkel und kalt. Kell und Saark waren eine scheinbare Ewigkeit in vollem Galopp geritten, bis die lodernden Katen, die Vachine-Mörder und die Gefahr, wie es schien, einstweilen weit hinter ihnen lagen. Es war Kell, der schließlich sein Pferd zügelte. Sie standen auf einem niedrigen, bewaldeten Hügel, und die fernen Feuer wurden vom Schnee, vom Dunst verhüllt – wie mit einem willkommenen Schleier. »Wie geht es dir, Kell, mein Alter?«, fragte Saark schließlich. In seiner Stimme lag kein Spott, sondern nur aufrichtige Sorge.
»Ich habe mich schon besser gefühlt. Viel besser.«
»In dieser Siedlung vorhin, hat dich da jemand angegriffen? Ich meine … eine Vachine?«
»Ja.«
»Mich ebenfalls. Sie … Sie hat mit meinen Gefühlen gespielt, sie mir förmlich aus dem Leib gerissen und sie dann einfach weggeworfen, auf die Straße, zu all den schimmernden Eingeweiden dort. Ich fühle mich unrein, Kell. Ich habe fast das Gefühl, als hätte sie meine Seele vergiftet.«
Kell drehte sich zu Saark herum. »Graal hat sie uns auf den Hals gehetzt, und das bedeutet, dass dieser Mistkerl unseren Tod will. Oder aber er will etwas von uns … irgendetwas anderes. Obwohl ich mir einfach nicht vorstellen kann, was.« Er senkte den Kopf, und einen Moment lang sah er aus wie irgendein wilder alter Mann. Er rieb sich die Augen, die Wangen, kratzte sich den Bart. Dann seufzte er, und mit diesem Seufzer stellte er sich seinen Jahrzehnten der Müdigkeit, den Jahrzehnten eines harten Lebens und noch härterer Kämpfe.
»Bist du verletzt?«, erkundigte sich Saark schließlich.
»Nur mein Ego, Jungchen. Sie war schnell, bei allen Göttern.« Dann grinste er. »Aber wenn ich schon fallen soll, dann wenigstens durch die Hand einer solchen Schönheit! Sie war unvorstellbar schön!«
»Meine ebenfalls. Sie hatte mich an der Angel wie ein Fisch. Ich fürchte, ich werde berechenbar.« Er seufzte und griff unwillkürlich mit den Fingern an den Kragen seines Umhangs, unter dem die unauslöschlichen Bisswunden waren. Er konnte sie fühlen, spürte ihr Brennen. »Früher einmal hätte eine solche Schönheit dazu geführt, dass ich schnurrte, die Lippen spitzte, flirtete und sie von mir stieß; ich hätte sie für das Privileg meiner Liebe arbeiten lassen, verstehst du? Jetzt jedoch,
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