Keltengrab: Thriller (German Edition)
ebenfalls in Richtung Eingang, und nun kam Sam Sakamoto hinzu, der wahllos Fotos schoss, während wir uns in einem Halbkreis mit dem Rücken zur Quarzfassade aufstellten.
Die Wolke über der Anhöhe auf der anderen Flussseite hatte sich inzwischen weitgehend verflüchtigt, und der Himmel war wie geschmolzenes Gold.
Sam ließ die Kamera kurz sinken. »Leute, diese Wand hinter euch ist einfach unglaublich.«
Wir blickten uns um und sahen, dass die Stützmauer rund um den Hügel hell erstrahlte. Die Sonnenscheibe war über den Kamm des Redmountain vorgerückt, es würde nun noch weitere vier Minuten dauern, bis der Lichtstrahl durch den Schlitz über dem Eingang drang.
Wir warteten alle schweigend und schauten auf die Uhr, und dann vernahm man aus dem Hügelinnern ein deutliches Murmeln, für sich genommen bereits ein bemerkenswerter Effekt, denn die Gruppe dort drinnen befand sich annähernd fünfundzwanzig Meter vom Eingang entfernt und unter zweihunderttausend Tonnen Erde und Stein.
»Gut«, sagte Hebe und holte ein kleines Aufnahmegerät hervor. »Während der nächsten siebzehn Minuten wird die Sonne verschiedene Teile der Kammer beleuchten. In dieser Zeit hätte ich von jeder von euch gern ein paar Worte dazu, wie ihr dieses Ereignis aus archäologischer Perspektive seht, und zweitens, was es gegebenenfalls für euch persönlich bedeutet. Fangen wir an mit … wie wär’s mit Ihnen, Mags?«
Ich war froh, dass ihre Wahl nicht auf mich gefallen war. Ich hatte nicht viel über das Thema nachgedacht, obwohl mein Leben in den vergangenen Tagen eng damit verknüpft gewesen war. Jetzt konnte ich immerhin ein paar Gedanken sammeln, während Mags Carney sprach. Ihr Fachgebiet war die Kunst der Ganggräber, und sie konnte endlos darüber reden, wenn es sein musste. Tatsächlich waren sie und Freda Dowling, einst meine Lehrerinnen, geachtete Persönlichkeiten in der Welt der irischen Archäologie.
Mags umschloss mit einer ausladenden Handbewegung den mächtigen Eingangsstein mit seinen fließenden Spiralen und die riesige Einfassung aus Stein mit den eingravierten Zeichen, die den Hügel stützte.
»Man schätzt, dass zwei Drittel der megalithischen Kunst Europas in die Steine des Boyne Valley gemeißelt sind. Und es gab alle möglichen Interpretationen, was diese Windungen, Spiralen, Rauten, Strahlenmuster und so weiter bedeuten. Im Fall des großen Eingangssteins dort behaupten zum Beispiel manche, es handle sich um eine Karte des Tals unter uns. Andere schreiben die kreisenden Muster irgendwelchen durch Drogen hervorgerufenen schamanischen Einsichten zu. Aber für mich bleibt etwas im Verborgenen, nicht nur an den Symbolen, sondern auch an diesen Orten. Wir wissen, dass zu wenig Knochen gefunden wurden, um den Ausdruck Friedhof für diesen Komplex zu rechtfertigen, und doch wurden hier die sterblichen Überreste von Menschen abgelegt.
Was also geschah hier? Ich werde es in typisch irischer Art mit einer neuen Frage beantworten: Was wird man in fünftausend Jahren von der Kathedrale von Chartres halten, wenn schon heute ihre wahre Bedeutung für das Leben der Menschen in der Zeit ihrer Erbauung mit jedem Jahr, das vergeht, immer schemenhafter wird. Zum Beispiel würde man dort Knochen finden – aber man läge weit daneben, wollte man sie ein Grabmal nennen.
Nun stellen Sie sich vor, die Kathedrale wäre bei einem großen Erdbeben eingestürzt und dieselbe Katastrophe hätte alles Wissen von den Evangelien, der christlichen Kultur, der Symbolik des Kreuzes oder der Rolle der Jungfrau Maria ausgelöscht. Als was, glauben Sie, würden die Archäologen jener fernen Zukunft das Bauwerk deuten? Besprechen Sie es bei Ihrem Weihnachtsessen, aber holen Sie sich keine Verstopfung …«
Alle lachten.
»Mir persönlich gefällt, wie uns Newgrange alle demütig macht. Wie es uns lehrt, nicht arrogant über die Vergangenheit zu urteilen.«
Mags erhielt eine verdiente Runde Applaus.
»Danke, Mags Carney«, sagte Hebe in ihr Mikrofon. »Nun wollen wir von … ach, Mags war heute früh als Erste da, also machen wir weiter in der Reihenfolge eures Eintreffens – Freda, zu Ihnen.«
Freda Dowling war eine Autorität in Sachen neolithische Ackerbaumethoden.
»Ich staune einfach, wie sie es zustande gebracht haben – Newgrange allein wäre schon bemerkenswert, aber denken Sie an das ganze Bru na Boinne: Knowth und Dowth und die anderen vierzig namenlosen Grabhügel und Ringwälle in diesem Gebiet, von denen einige sogar
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