Keltengrab: Thriller (German Edition)

dass sie bandagiert waren.«
    »Was wollen Sie dann sagen?«
    »Es ist nur eine Vermutung. Erinnern Sie sich, wie ich Ihnen im Leichenschauhaus in Drogheda die angeborene Missbildung an der Hand des Säuglings gezeigt habe? Syndaktylie. Es wird manchmal auch als ›Fäustlingshand‹ bezeichnet – zwei oder mehr Finger, die miteinander verwachsen sind. Normalerweise werden sie in der frühen Kindheit operativ getrennt … Aber es wäre immerhin möglich, dass ein Erwachsener … Ich meine, wenn man es unbehandelt gelassen hat …«
    »Schatz!« Isabelle wartete am Eingang.
    Als wir ins Tageslicht hinaustraten, hakte sie sich bei Sherry ein. »Wir müssen uns wirklich beeilen, wenn wir den Flug noch erwischen wollen.«
    »Wohin geht es denn?«, fragte ich.
    »München«, erwiderte Isabelle.
    »Ah, der Christkindlmarkt, Glühwein, Weihnachtslieder am Marienplatz …«
    »Oh, Sie waren schon dort?« Isabelle klang enttäuscht.
    »Ja, schon oft. Wir haben Freunde dort.«
    »Hallo, ihr beiden … Ich friere mir hier den Arsch ab.« Sam Sakamoto stampfte mit den Füßen, um sie warm zu halten. »Bringen wir es hinter uns.«
    Isabelle rannte hinüber zu den anderen, was mir die Gelegenheit zu einem letzten Wort an Sherry gab. »Sie sind mir einen Riesengefallen schuldig. Bleiben Sie mit mir in Kontakt, während Sie in Deutschland sind.« Ich gab ihm meine Visitenkarte. »Schicken Sie eine E-Mail, wenn es etwas Neues gibt.«
    Sherry und seine neue Freundin brachen auf, sobald die Fotos gemacht waren, und während die anderen überlegten, auf einen heißen Whiskey nach Donore oder Slane zu fahren, verabschiedete ich mich und machte mich auf den Weg zum Auto.
    Auf der gegenüberliegenden Talseite flog eine Schar Stare aus einem Gehölz auf. Konnten es dieselben sein, die ich am Sonntag in die Bäume hatte strömen sehen?
    Einige Meter hinter mir kauerte der Fotograf auf dem Fußweg und nahm seine Kamera auseinander. Ich ging zu ihm zurück. »Sam, könnte ich mir ihr Zoom kurz borgen?«
    »Was wollen Sie sehen?«
    »Sehen Sie die Vogelschar dort drüben? Direkt darunter.«
    Er spähte durch den Sucher und stellte rasch die Schärfe nach. »So, das müsste ungefähr hinkommen.«
    Ich richtete die Linse auf die Stelle, wo ich die Stare hatte auffliegen sehen. Das Waldstück bestand hauptsächlich aus Laubbäumen, die jetzt kahl waren, aber mittendrin versperrte eine Gruppe von Nadelgehölzen die Sicht auf die Grange Abbey. Nur der obere Rand des Turmes war zu erkennen, seine schlanken Zinnen verschmolzen mit den Umrissen der Baumwipfel. Wenn man nicht danach suchte, würde man ihn nie bemerken. Von diesem Ufer des Boyne aus wurde mir in aller Deutlichkeit bewusst, dass das Kloster genau gegenüber von Newgrange lag.

32
     
    Wie um ihre Rückkehr anzuzeigen, sandte die Mittagssonne goldene und silberne Lichtbänder aus, scharf umrissen und wie Folie glitzernd, während die Käufer in den Straßen von Drogheda wegen ihres tiefen Standes am Himmel die Augen abschirmten und die Autofahrer Sonnenbrillen aus den Handschuhfächern fischten.
    Der Verkehr in den ohnehin bereits verstopften Straßen kam vollends zum Erliegen, als die Trauergäste nach der Totenmesse für Frank Traynor aus St. Peter strömten. Ich war kurz vor Ende des Gottesdienstes in der Stadt eingetroffen und hielt genau gegenüber der Kirche. Um einen Strafzettel zu vermeiden, blieb ich im Wagen und beobachtete von dort aus, wie die Leute die Treppe herunterkamen. Ich erwartete, Muriel Blunden zu sehen.
    Nachdem vor den Augen der trauernden Witwe und ihrer halbwüchsigen Kinder der Sarg in den Leichenwagen gehoben und die Tür geschlossen worden war, begleiteten Verwandte und Freunde sie zu einer wartenden schwarzen Limousine, die ein uniformierter Beamter der Garda in den Verkehr winkte. Autos strömten aus dem Parkplatz, um sich dem Begräbniszug anzuschließen. Ein weiterer Polizist fädelte sie in den Verkehr, was zu vielem Hupen weiter hinten führte, wo Fahrer, die nichts vom Grund für den kompletten Stillstand wussten, ihrer Verärgerung Luft machten.
    Unter den Letzten, die auf die Stufen vor der Kirche traten, war Derek Ward in Begleitung seiner Frau, die mir von verschiedenen sozialen Funktionen im Land bekannt war. Ich war überrascht, dass Ward eine alles andere als prominente Position unter den Trauergästen einnahm. Dann sah ich einen schwarzen Mercedes aus dem Parkplatz kommen. Wards Frau nahm auf dem Rücksitz Platz, er sagte etwas zu ihr, dann