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Kelwitts Stern

Kelwitts Stern

Titel: Kelwitts Stern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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kam?«
    »Wie soll ich mir dessen sicher sein, wenn ich es überhaupt nicht zu Gesicht bekommen habe?«, knurrte Lacher.
    Immerhin, allmählich dämmerte dem Jüngelchen, worum es hier ging. »Dann wissen Sie gar nicht, von wem Sie gefilmt wurden?«
    »Genau.« Noch mal die Warteschleife und drei Takte bombastische Fanfaren, dann: »Haben Sie es schon mal beim ZDF versucht?«
    »Danke für den Tipp«, meinte Lacher und legte auf. Das hörte er jetzt zum dritten Mal. Haben Sie es schon beim ZDF versucht? Dort hatte er sogar als Erstes angerufen; Fernsehzeitschriften konnte er immerhin auch lesen. Die hatten ihn an den WDR verwiesen.
    Irgendwas lief hier verkehrt. Niemand wollte sich zu dem Streich mit dem Außerirdischen bekennen.
    »Mit der Blonden vom Supermarkt hat er vor einem halben Jahr Schluss gemacht«, erzählte Dorothea. »Seither ist er mit der Silvia zusammen, weißt du, die nach der siebten in die Realschule gewechselt ist.«
    »Mmh«, meinte Sabrina. »Und die auch blond ist.«
    Dorothea musterte ihr dunkelbraunes Haar im Rückspiegel. »Ja, allmählich sollte er blond echt überhaben.«
    »Doro!«, ächzte Sabrina, verdrehte die Augen und ließ den Kopf nach hinten gegen die Kopfstützen fallen. »Du kapierst es nie, oder?«
    Dorothea war, seit sie dreizehn war, verknallt in einen Tunichtgut namens Gerold, der seinerseits nichts von ihr wissen wollte. Weswegen Dorothea immer noch Jungfrau war.
    Was, wie Sabrina fand, sich eigentlich nicht gehörte für ihre beste Freundin.
    Sie fuhren auf der Autobahn, in zäh dahinfließendem Verkehr kurz vor dem Stillstand. Dorothea hatte ihrem Vater dessen Auto abgeschwatzt, einen ausladenden ratternden Ford von geradezu amerikanischen Ausmaßen, der schon so alt war, dass man sich auch keine Sorgen mehr darum machen musste, ihrer Mutter hoch und heilig versprochen, vorsichtig zu fahren, dabei mit Erstaunen festgestellt, in ihrem Vater einen Fürsprecher ihres Unternehmens zu haben (»Sie hat den Führerschein – sie muss auch mal ganz auf sich allein gestellt fahren! Wie soll sie sonst je selbstständig werden?«), eine fiktive Telefonnummer hinterlassen (sie durfte nicht vergessen, von unterwegs anzurufen, damit der Schwindel nicht aufflog), und nun waren sie unterwegs. Ob sie den Wagen auch bekommen hätte, wenn sie verraten hätte, dass sie zusammen mit Sabrina fahren wollte, hatte sie wohlweislich allerdings nicht ausprobiert.
    Jedenfalls war es großartig, fand Sabrina. Schade, dass es zu kalt war, um das riesige Schiebedach aufzukurbeln. Aber auch so kam sie sich vor wie die Hauptdarstellerin in einem Road Movie. Thelma und Louise. Sabrina und Dorothea.
    »Du weißt eben nicht, was wahre Liebe ist«, verteidigte sich Dorothea dünnlippig.
    »Wahre Liebe? Gerold? Ach du meine Güte.« Allmählich schien es chronisch zu werden. »Mir würde es für den Anfang schon genügen, wenn ich verstehen könnte, was du an dem Typ eigentlich findest. Der hat doch nur sein Motorrad im Kopf. Wenn er nicht mal wieder Hasch raucht, dann hat er gar nichts im Kopf. Und ansonsten macht er nichts, als den Weibern hinterher zusteigen …«
    »Also, ehrlich gesagt, aus deinem Mund klingt das als Vorwurf reichlich merkwürdig«, versetzte Dorothea. »Er muss eben auch seine Erfahrungen machen, na und?«
    Sabrina seufzte. »Also gut. Von mir aus. Und was spricht dagegen, dass du solange auch deinen Spaß hast?«
    »Dagegen spricht, dass es mir keinen Spaß machen würde. Mit irgend jemandem zu schlafen, meine ich.«
    »Woher willst du denn das wissen? Du hast es ja überhaupt noch nicht probiert.«
    »Ich muss nicht aus dem Fenster springen, um zu wissen, dass es mir keinen Spaß machen würde, unten aufzuschlagen.«
    Das Fatale war, dass, wie Sabrina Gerold und seine Vorlieben einschätzte, Dorothea für ihn auf einer Attraktivitätsskala von null bis zehn ungefähr bei minus fünfzehn rangierte. Gerolds Freundinnen waren immer blond, so langmähnig wie langbeinig, dazu sportlich und vom Wesen eher zänkisch und doof. Dorothea dagegen hatte dunkelbraune, stark zu Spliss neigende Haare, die sie stets kürzer tragen musste, als ihr gut gestanden hätte, und breite Schultern, da sie gern schwamm. Ihre Hüfte war dagegen knabenhaft schmal und ihr Busen nicht der Rede wert. Dass sie eine verträgliche Seele von Mensch sein konnte, gern Fontane und Theodor Storm las und Streichholzbriefe von Hotels aus aller Welt sammelte, brachte ihr in den Augen eines dummen Buben wie Gerold Natter auch

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