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Kelwitts Stern

Kelwitts Stern

Titel: Kelwitts Stern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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keine Ausgleichspunkte ein.
    »Was macht eigentlich Christian?«, fragte Sabrina. Christian war ein stiller Junge aus Dorotheas Parallelklasse, der Bücher las und Klavierstunden nahm und ihrer Meinung nach gut zu Dorothea passen würde.
    »Jetzt fang nicht wieder von dem an! Ich hab dir schon mal gesagt, dass der mich nicht interessiert.«
    »Hätte sich ja was geändert haben können.«
    »Hat sich aber nicht.« Sie deutete auf ein großes blaues Schild, das die nächste Ausfahrt ankündigte. »Müssen wir da jetzt raus?«
    »Noch nicht. Die danach, glaube ich.« Einen Vorteil hatte es zumindest, dass Dorotheas ganzes Denken unentwegt um ihren Gerold kreiste: Sie war noch nicht einmal auf die Idee gekommen, genauer nachzufragen, was Sabrina eigentlich suchte in diesem Kaff auf der Schwäbischen Alb, dessen Namen sie gestern Abend zum ersten Mal gehört hatte.
    Die Beerdigung von Herrn Güterling war eine einsame Veranstaltung. Der Einzige, den Thilo kannte, war ein alter Mann, der dem Sarg mit zittrigen Schritten folgte, eine schiefe, schmale Figur in einem schwarzen Anzug. Er hatte früher öfter mit Güterling Schach gespielt, doch seine Alzheimererkrankung war vorangeschritten und hatte das schließlich unmöglich gemacht. Immerhin schien er sich noch an ihn zu erinnern.
    Es war kalt und windig. Der Pfarrer spulte seinen Part routinemäßig ab und so schnell, wie es die Pietät zuließ. Thilo starrte das offene Grab an, ohne zuzuhören. Kelwitt hatte genau wissen wollen, wie die Erdbewohner mit ihren Toten verfuhren. Die Idee, sie im Boden zu vergraben, hatte ihn verblüfft. Auf Jombuur wurden die Toten – natürlich – im Meer beigesetzt, wobei es durchaus verschiedene Varianten gab. In Kelwitts Gegend war es üblich, den Leichnam auf einem brennenden Floß einer bestimmten Meeresströmung zu übergeben.
    Im Hintergrund standen zwei alte Weiber, von denen Thilo glaubte, dass sie jeden Tag auf den Friedhof gingen, um irgendwelchen Beerdigungen beizuwohnen. Im Altersheim hatte er sie jedenfalls nie gesehen. Und bei der schlechten Meinung, die Güterling von Frauen im Allgemeinen und seiner eigenen im Besonderen gehabt hatte, war schwer vorstellbar, dass er noch zu irgendeiner eine besondere Beziehung gepflegt hätte.
    Der eisige Wind trieb winzige Schneeflocken vor sich her. Die Kälte kroch durch die Schuhsohlen. Der alte Mann schwankte am Grab, als wolle er selber hineinfallen. Thilo dachte an Sabrina, die jetzt mit ihrer Freundin nach Blaukirch unterwegs war. Am liebsten wäre er mitgefahren, aber jemand musste bei Kelwitt bleiben.
    Zum ersten Mal kam ihm der Gedanke, dass, wenn Kelwitt sterben sollte, sie sich würden überlegen müssen, was mit seinem Leichnam zu geschehen hatte.
    Lothar Schiefer ließ sich mit dem Taxi bis an den Aufgang zur Ladenstraße bringen und wartete neben dem Türschild eines Rechtsanwalts, bis es wieder weg war.
    Dann zog er seinen Schlüsselbund aus der Tasche und machte sich auf den Weg zum Parkplatz, auf dem sein Auto hoffentlich noch stand.
    Er musste allmählich wirklich aufpassen mit dem verdammten Saufen. Vor allem an solchen Feiertagen wie Weihnachten. Dass ihn die blöde Geschichte, die ihm der Arzt gestern erzählt hatte, so durcheinandergebracht hatte … Aber ausgerechnet Mattek! Mattek, der sich sowieso merkwürdig benahm in letzter Zeit.
    Er schloss die Wagentür auf, ließ sich in den Sitz fallen und zog sie wieder zu. Sein Bauch fühlte sich an wie ausgestopft. Als hätte er Steine geschluckt. Und dieser blöde, bittere Geschmack im Mund, bestimmt von den Tabletten heute Morgen … Zeit, dass das neue Jahr endlich anfing und man sich wieder in die Arbeit stürzen konnte.
    Aber diese Geschichte mit dem Außerirdischen … Verdammt, wie kam dieser furztrockene Mediziner dazu, ihm so einen Stuss zu erzählen? Mattek?! Wolfgang Mattek war weder nachtragend noch phantasievoll genug für eine solche Aktion. Es sei denn, er hatte sich in diesem Mann so gründlich getäuscht wie noch nie in jemandem.
    Verdammt, verdammt, verdammt! Seine Finger trommelten auf dem Lenkrad. Dann drehte er den Zündschlüssel, schoss rückwärts aus der Parkbucht, rammte beinahe eine Frau mit Kinderwagen und trat aufs Gas. Fünf Minuten später stand er vor der Haustür der Matteks und klingelte Sturm.
    Nora öffnete ihm, nur einen Spalt weit, als fürchte sie sich. »Hallo, Lothar«, sagte sie. Auch sie war anders, als er sie kannte. Leiser. Irgendwie verschreckt. »Wolfgang ist nicht

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