Kelwitts Stern
für die Augen so fremdartiger Wesen, wie es die Bewohner dieses Planeten zweifellos waren, durchaus schön sein konnte. Aber schwer zu glauben war es dennoch. Sie durchquerten die große Ansiedlung, was bedeutete, dass sie sich in weitere lange, langsam dahinschiebende Kolonnen einreihen und sich mit diesen so langsam bewegen mussten, dass es schneller gegangen wäre, wenn sie zu Fuß gegangen wären. Was Kelwitt in der Tat vorgezogen hätte. Schließlich gelangten sie in einen etwas kleineren Teil der Ansiedlung, in dem kleine, aber zweifellos künstliche Höhlennester entlang schmaler Fahrstraßen aufgereiht waren, und vor einem dieser Nester hielt F’tehr das Fahrzeug an.
Aus einer – wieder rechteckigen – Tür kam ein weiterer Planetenbewohner mit langem, aber diesmal dunklem Kopfpelz, umarmte seinen Schwarmgefährten F’tehr, entdeckte dann Kelwitt und gab einen Laut von sich, der fast schon in den Klangbereich der jombuuranischen Sprache hineinreichte.
7
Es passiert nicht alle Tage, dass man darauf wartet, dass die eigene Tochter aus dem Internat zurückkommt, von dem sie gerade geschmissen wurde.
Man überlegt sich, was man sagen wird. Man wird nicht so tun, als sei alles in Ordnung; so leicht soll sie es nicht haben! Aber man wird sie auch nicht mit Vorwürfen überhäufen. Nein, sie soll sich angenommen fühlen als Mensch, als Kind, aber durchaus spüren, dass man nicht einverstanden ist mit ihrem Verhalten …
All das war vergessen. Die zurechtgelegten Worte, die vorgedachten Gespräche. Nora Mattek lag bebend in den Armen ihres Mannes und starrte das Wesen auf dem Rücksitz des Autos an. »Was ist das, Wolfgang? Was ist das?«
»Ich weiß es nicht«, murmelte ihr Mann beruhigend. »Wir glauben, dass es ein Außerirdischer ist.«
»Ein … was?!« Nora Mattek schnappte nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen.
»Psst. Bitte schrei nicht mehr. Die Nachbarn schauen bestimmt schon.«
Nora Mattek schrie nicht mehr, obwohl ihr durchaus danach gewesen wäre.
»Wir haben ihn unterwegs aufgelesen. Er stand plötzlich vor uns auf der Straße.«
Nora Mattek schrie immer noch nicht. Sie starrte das Wesen hinter der Glasscheibe an, und das Wesen schaute mit großen schwarzen Augen zurück und legte dann den Kopf ein wenig zur Seite.
Eigentlich sah es gar nicht so schrecklich aus. Eigentlich sah es beinahe süß aus.
»Auf der Straße?«, wiederholte sie flüsternd. »Einfach so?«
»Ich hätte ihn ums Haar überfahren.«
»Das wäre aber schade gewesen«, meinte Nora gedankenverloren.
Sabrina stieg aus, den zerknautschten Matchsack über der Schulter, das personifizierte schlechte Gewissen. »Hi, Mom«, kam es kläglich.
Es passiert nicht alle Tage, dass man seine Tochter aus dem Internat zurückerwartet und bei ihrer Ankunft feststellen muss, dass sie einen Außerirdischen mitgebracht hat. Man kann guten Gewissens so weit gehen zu behaupten, dass das überhaupt noch nie passiert ist. Nora Mattek nahm ihre Tochter in die Arme, drückte sie und sagte, was sie schon Tausende Male gesagt haben musste: »Sabrina – was hast du denn jetzt wieder angestellt?«
»Wir wär’s, wenn wir alle reingingen?«, meldete sich Vater Mattek nervös, als das Wesen auf dem Rücksitz seines Wagens Anstalten machte, ebenfalls auszusteigen. »Wir brauchen den Nachbarn doch kein Schauspiel zu liefern, oder?«
Und dann standen sie alle im Flur herum. Kelwitt hieß das Wesen, das angeblich nicht von der Erde stammte – und jetzt, wo Nora ihn in ganzer Größe sah, musste sie zugeben, dass es eine Zumutung gewesen wäre, wenn man von ihr etwas anderes zu glauben verlangt hätte -, ein feucht glänzendes, mageres Bürschchen mit einem spitz zulaufenden, delphinartigen Kopf und großen, lidlosen, nachtschwarzen Augen, um dessen Füße sich nasse Flecken auf den Fliesen bildeten.
»Der Rücksitz ist auch ganz nass«, erklärte Mattek.
Nora seufzte gottergeben.
»Und so was bringst du mir nach Hause. Kurz vor Weihnachten.«
»Vielleicht kann man ja etwas unterlegen«, schlug ihr Mann vor. »Ein Plastiktuch oder so was. Den alten Duschvorhang zum Beispiel.«
»Den habe ich letzte Woche in den Sperrmüll getan.«
»Aber der war doch noch gut!«
»Eine Frau hat ihn mir auch gleich aus den Händen gerissen.«
Kelwitt legte den Kopf wieder leicht schräg, und zum ersten Mal hörte Nora die Stimme, die aus dem metallenen Teil kam, das er auf der Schulter trug und das bestimmt ein Übersetzungsgerät war. »Gerissen?«,
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