Kelwitts Stern
erregt den Patienten nur, was leicht zu einer Krise oder sogar einem psychischen Kollaps führen kann. Spielen Sie stattdessen das Spiel mit, soweit es möglich ist. In schweren Fällen – oder in Fällen wie diesem, wo wir von einem temporären Unfalltrauma ausgehen können – ist im Allgemeinen der Einsatz eines Sedativums angezeigt.«
Einer der Studenten streckte mit spitzem Finger. »Müsste man aber nicht trotzdem nachprüfen, ob der Mann für den Bundesnachrichtendienst arbeitet?«
Der Blick des Professors war vernichtend.
»Ich meine ja nur«, murmelte der vorwitzige Frager schüchtern und verdrückte sich hinter den Rücken eines Kommilitonen.
»Vielleicht hat er uns längst mit einer Krankheit angesteckt, gegen die es kein Gegenmittel gibt«, meinte Thilo und malte mit den Fingern unsichtbare Figuren auf die Platte des Küchentischs. »Ein Virus aus dem All, das uns alle in eine große, schleimige Masse verwandelt.«
Sabrina, die auf der anderen Seite des Küchentischs hockte, den Kopf auf die Hände gestützt, sah ihren Bruder entnervt an. »Du guckst echt zu viele Filme.«
»Könnte doch aber sein, oder?«
»Ist extrem unwahrscheinlich.«
»Woher willst’n das wissen?«
»Ich hab ein Buch darüber gelesen«, erklärte Sabrina. »Falls du weißt, was das ist.«
»Schon mal davon gehört, ja.«
»Klasse. Jedenfalls, darin stand, dass Krankheitserreger meistens ganz speziell auf bestimmte Lebewesen angepasst sein müssen, um überleben zu können. Ein Virus, das einen Hund befällt, befällt keinen Menschen, und umgekehrt.«
»Ah«, sagte Thilo. »Und was ist mit dem Rinderwahnsinn? Der befällt doch auch Menschen.«
»Das ist eine Ausnahme. Außerdem sind Rinder und Menschen ja noch ziemlich verwandt. Aber ein außerirdischer Krankheitserreger hat höchstwahrscheinlich keine Chance.« Von oben hörte man immer noch den Fernseher aus dem Gästezimmer dröhnen. Dem Geräusch nach schaute Kelwitt sich gerade Bonanza an oder so etwas Ähnliches.
»Du liest ziemlich merkwürdige Bücher«, meinte Thilo gähnend.
»Es war nichts anderes da.«
In diesem Augenblick verstummte der Fernseher. Thilo und Sabrina sahen einander an. Gleich darauf hörte man eine Tür, dann langsame, platschende Schritte, die die Treppe herunterkamen, und dann stand er in der Küchentür, sah sie aus großen, pupillenlosen schwarzen Augen an und sagte höflich: »Guten Morgen und herzlich willkommen zur neuen Ausgabe eines Tages.«
Thilo starrte ihn an, und Sabrina merkte, dass er ein Aufwallen von Panik niederkämpfte. »Ähm … hallo, Kelwitt«, brachte er mühsam heraus.
Kelwitt sah anders aus, als Thilo ihn in Erinnerung hatte. Nicht so … bedrohlich. Heute Nacht war er ihm wie ein Monster aus einem Albtraum vorgekommen, wie eine glitzernde, schleimige Stephen-King-Kreatur, die gerade die übrige Familie gefressen und nur noch auf ihn gewartet hatte. Aber bei Tageslicht und nach einem kräftigen Frühstück hatte er eher etwas von einem abgemagerten Kind an sich, das von zu Hause ausgerissen war.
Na ja, obwohl er natürlich schon ziemlich abgefahren aussah. »Angenehm, mein Herr«, schnarrte Kelwitt mit einer verdächtig nach Heinz Rühmann klingenden Stimme, »mein Name ist Kelwitt.« Das Klangbild veränderte sich, plötzlich klang er nach Miss Piggy. »Huch, wer sind Sie?«
»Ich heiße Thilo«, erklärte Thilo grinsend.
»Wir sind uns nur kurz begegnet«, klagte Kelwitt mit einer weiblichen Stimme, die Thilo auch bekannt vorkam. »Bedauerlich. Ich hoffe, es geht Ihnen heute besser.« Das klang nun nach Doktor Quincy.
Sabrina verbiss sich mit Mühe das Lachen. »Hallo, Kelwitt!«, rief sie. »Komm, setz dich zu uns. Willst du was essen?«
»Fruchtig-frisch«, erklärte Kelwitt ernsthaft und kam näher. Sein Anzug glänzte vor Feuchtigkeit, und seine Füße hinterließen nasse Stellen auf den Fliesen. »Und das alles für nur sieben Mark neunundneunzig unverbindliche Preisempfehlung. Nein, danke, mein Herr. Ich hab null Bock auf Essen.« Er zog einen der Stühle heran, betastete das Kissen darauf, nahm es herunter und setzte sich auf das blanke Holz.
»Was hast du eigentlich gegen weiche Kissen?« wunderte sich Sabrina und nahm ihm das Sitzkissen ab.
»Es ist … unangenehm«, erklärte Kelwitt. Er schaute sich um. »Wo sind eigentlich die anderen beiden Kandidaten? Fragen wir die Jury.«
»Unser Vater ist im Büro«, schmunzelte Sabrina, »und unsere Mutter ist einkaufen. Weil wir nämlich demnächst
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