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Kelwitts Stern

Kelwitts Stern

Titel: Kelwitts Stern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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gehen. Und am schärfsten finde ich, dass er allen Ernstes erwartet, dass ich diesen blöden Job auch mal mache und dabei noch Hosianna singe vor Dankbarkeit und Glück.«
    Seine Mutter widmete sich wieder ihrer Zeitschrift. »Ich glaube, inzwischen erwartet er das nicht mehr allen Ernstes.«
    »Das erste vernünftige Wort in dieser Angelegenheit«, brummte Thilo und machte, dass er ins Bad kam.
    »Das hier ist ein Fotoapparat«, erklärte Sabrina.
    Kelwitt nickte. Nicken hatte er mittlerweile schon ganz gut drauf. »Ein Gerät zum Anfertigen optischer Aufzeichnungen. Jetzt neu. Macht einfach gute Bilder.«
    »Genau«, sagte Sabrina und fädelte den Film in den dafür gedachten Schlitz der Aufnahmespule. »Damit werde ich ein paar optische Aufzeichnungen von dir machen. Ein paar einfach gute Bilder. Sonst glaubt mir die Geschichte nachher kein Mensch.«
    Sie saßen in ihrem Zimmer auf dem Boden. Kelwitt hatte die Wachsdecke untergelegt. Mittlerweile schleppte er die immer mit, wo er ging und stand, doch trotz dieser Vorsichtsmaßnahmen waren überall in der Wohnung feuchte Flecken anzutreffen, die langsam vor sich hin trockneten. Und auf fast allen Heizkörpern lagen aufgeschlagene Bücher, deren Seiten trotz der Gummihandschuhe nass geworden waren.
    Abgesehen davon, dass er sich zu den absonderlichsten Zeiten schlafen legte, tat er nichts anderes als lesen und fernsehen und jeden mit Fragen zu löchern, der ihm dabei Gesellschaft leistete. Sein Wissensdurst war erstaunlich, wenn auch absolut unsystematisch. Heute Morgen waren sie zu der verwirrenden Fragestellung gelangt, welchen Sinn es machte, blaue Flüssigkeit auf Gegenstände zu gießen, die die Menschen »Binden« nannten. Eine Fragestellung, die trotz aller Bemühungen nicht zu seiner Zufriedenheit hatte geklärt werden können.
    »So. Ich glaube, jetzt hab’ ich’s.« Sie visierte Kelwitt durch den Sucher an. »Und jetzt bitte lächeln …«
    Die Öffnung an der Unterseite seines Kopfes ging auf und zu, und ein paar der kreisförmig darin angeordneten Borsten ruckten heraus. Nicht mal mit viel Phantasie ging das als Lächeln durch, aber immerhin war der gute Wille erkennbar. Sabrina drückte auf den Auslöser.
    Das aufflammende Blitzlicht hatte eine erstaunliche Wirkung auf Kelwitt. Er schrie nicht auf, er zuckte nicht zusammen – ohne ein Wort und ohne eine Geste kippte er einfach nach hinten und schlug mit einem dumpfen Geräusch auf dem Boden auf.
    »Kelwitt!« Sabrina warf die Kamera aufs Bett und beugte sich über ihn. Seine Augen waren wieder milchig weiß, und seine Atemöffnung zitterte wie das Herz eines ängstlichen Vögelchens.
    Durch das offene Fenster hörte man alle Hunde der Nachbarschaft wie verrückt bellen. Sabrina wusste inzwischen, dass sich Kelwitts wirkliche Stimme im Ultraschallbereich bewegte. Wahrscheinlich hatte er doch einen Schrei ausgestoßen, und sie hatte ihn nur nicht gehört.
    »Kelwitt! Hey, was ist denn? Tut mir leid …« Was um alles in der Welt macht man mit einem ohnmächtigen Außerirdischen? Darauf hatte sie auch der Erste-Hilfe-Kurs nicht vorbereitet. Sie tätschelte den Teil seines Kopfes, den man als Wangen hätte bezeichnen können, aber Kelwitt rührte sich nicht.
    Hatte sie ihn womöglich umgebracht? Das fehlte noch. Am Ende ging sie in die Geschichte ein als diejenige, die den ersten interstellaren Krieg ausgelöst hatte. Falls es danach noch so etwas wie Geschichtsbücher gab.
    Sie öffnete mit bebenden Fingern Kelwitts Feuchthalteanzug – was ganz einfach war, denn der Anzug hatte eine Art Reißverschluss, und ein seltsam nüchterner Teil ihres Geistes fand es frappierend, dass ausgerechnet so etwas wie ein Reißverschluss, dessen Funktionsweise sie noch nie wirklich begriffen hatte, auch auf einem Tausende von Lichtjahren entfernten Planeten erfunden worden war – und tastete nach seinen Herzen. Er hatte ihr erzählt, dass er zwei längliche Herzen an den Seiten des Körpers hatte und ein Herz in der Mitte, dessen Schlag allerdings von außen nicht tastbar war. Immerhin, die Seitenherzen schlugen beide, in einem langsamen, merkwürdigen Takt.
    Und seine Haut fühlte sich gut an.
    Sabrina zuckte zurück. Das war ja wohl der unpassendste Augenblick, derartige Dinge zu bemerken!
    Aber dann legte sie ihre Hände doch wieder auf seine Brust. Kelwitts Haut war warm, warm und feucht und glitschig, und sie schmeichelte sich seidenweich an ihre Finger. Sabrina schluckte. Das war verrückt. Nicht nur verrückt,

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