Kelwitts Stern
lässig an seinem Arm hing. »Samstagabend um halb sechs, und dein Laden brummt wie ein Bienenstock. Das wird das ertragreichste Jahr in der Geschichte deiner Firma, schätze ich.«
»Ja«, brummte Wolfgang Mattek. »Aber nicht durch unser Verdienst, fürchte ich. Willst du etwas zu trinken?«
»Einen Kaffee höchstens.«
Mattek drückte den entsprechenden Knopf an der Sprechanlage.
Draußen wurde es schon dunkel, aber seine Sekretärin war noch da. »Zwei Tassen Kaffee bitte, Frau Wolf.«
Der Kaffee kam. Während des ersten Schlucks sah Wolfgang Mattek sein Gegenüber an und fragte sich, wie Lothar Schiefer es fertig brachte, selbst mitten im Winter ein sonnengebräuntes Gesicht spazieren zu tragen. Wenn man seinen Terminkalender sah, war es schwer vorstellbar, dass er die Zeit hatte, sich regelmäßig auf die Sonnenbank zu legen.
»Du siehst besorgt aus«, meinte Lothar über den Rand seiner Kaffeetasse hinweg.
Lothar Schiefer sah nicht nur aus wie ein Siegertyp, er war auch einer. Gut aussehend und ehrgeizig, hatte er sich aus einfachsten Verhältnissen hochgearbeitet, hatte den Sprung vom windigen Verkäufer dubioser Versicherungen und Graumarktinvestitionen zum selbstständigen Finanzberater einer wohlhabenden Klientel geschafft. Und er genoss es, seinen Wohlstand zur Schau zu stellen: Der silbergraue Mercedes SL draußen auf dem Firmenparkplatz war seiner. Und bestimmt lagen die Squash-Schläger unübersehbar auf dem Rücksitz.
»Ich frage mich, wie es weitergeht«, gestand Wolfgang Mattek. »Wenn wir nicht zufällig Feuerwerkskörper herstellen würden und nicht zufällig Silvester 1999 vor der Tür stünde, sodass sich selbst Leute, die noch nie im Leben auch nur einen Knallfrosch angezündet haben, mit großen Raketensortimenten eindecken, würde es uns doch genauso gehen wie allen anderen. Wir steuern auf eine Rezession zu. Nächstes Jahr wird es uns umso härter treffen, denn nach diesem Rekordfeuerwerk werden die Leute erst mal genug haben von Krachern und Böllern.«
Lothar stellte die Tasse ab. »Ich möchte mal wissen, warum eigentlich jeder jammert. Hotels verdienen sich dumm und dämlich am Jahrtausendwechsel. Reiseveranstalter erleben einen Boom wie zuletzt zu Zeiten der Maueröffnung. Die Softwarebranche macht unglaublich Kasse mit der Angst aller Firmen, dass ihnen am ersten Januar 2000 die richtigen Jahreszahlen fehlen. Aber alle jammern: ›Was wird nächstes Jahr?‹. Du meine Güte! Wir sind in einem Abschwung – na und? Es kommt auch wieder ein Aufschwung.«
»Hmm«, machte Mattek.
Lothar Schiefer lehnte sich zurück. Seine breiten Finger begannen ungeduldig auf den Sitzlehnen Klavier zu spielen. »Es ist nicht nur die Firma, hab ich Recht? Ärger zu Hause?« Mattek hob die Hand in einer unbestimmten Geste. »Weißt du, es mag ja sein, dass der nächste Aufschwung kommt – aber ich werde nicht jünger. Das ist es. Ich bin jetzt vierundfünfzig. Die Pumpe fängt schon an, Schwierigkeiten zu machen. Zeit, an meinen Nachfolger zu denken. Aber Thilo interessiert sich für nichts weniger als für die Firma. Von einem entsprechenden Studium will er nichts wissen. Abgesehen davon, dass seine Noten das ohnehin nur mit Mühe erlauben würden.«
»Und was ist mit Sabrina?«
»Ich glaube nicht, dass sie dafür in Frage kommt.«
»Wolfgang, sei nicht so altmodisch. Frauen sind die Führungskräfte des nächsten Jahrhunderts. Eine Tochter in der Unternehmensnachfolge ist heutzutage gang und gäbe.«
»So altmodisch bin ich auch wieder nicht. Aber meine Tochter arbeitet auf eine Karriere als Hure hin.«
»Oh«, machte Lothar. »Immer noch.«
»Gestern habe ich sie mal wieder aus einem Internat abholen müssen.«
»Aus diesem ›Wir werden auch mit Ihren schwierigen Kindern fertig‹-Internat auf der Schwäbischen Alb?«
»Genau. Vor Sabrina haben sie kapituliert.«
»Hmm.« Lothar Schiefer schnippte ein unsichtbares Stäubchen von seinem Hosenbein. »Auch eine Leistung.«
»Mag sein. Aber was mach’ ich nun?«
Lothar Schiefer griff wieder nach der Tasse, die Ruhe in Person. »Erstens«, erklärte er dann, »musst du das nicht heute Abend entscheiden. Heute Abend nicht und morgen Abend nicht – das hat Zeit bis nächstes Jahr.«
»Aber …«
»Stopp!« Eine erhobene Hand. »Keine Jahrtausendwendepanik, bitte. Auch das Jahr zweitausend ist ein Jahr wie jedes andere, mit der einzigen Ausnahme, dass keiner das zu glauben scheint. Zweitens -wer sagt, dass die Leitung der Firma in
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