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Kelwitts Stern

Kelwitts Stern

Titel: Kelwitts Stern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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einen repräsentativen Querschnitt durch ein Jahrhundert Kino zu präsentieren, aber irgendwie konnte sie sich auf nichts konzentrieren. Und bei jedem dritten Werbespot musste sie an Kelwitt denken.
    Sie schaltete aus, ging in die Küche, wischte zum dritten Mal über alle Arbeitsflächen und Schranktüren. Bügelwäsche wäre da gewesen, aber sie hatte plötzlich Angst, sich am Bügeleisen zu verletzen vor lauter innerer Anspannung.
    Das Telefon klingelte, und sie hob aufgeregt ab, ohne dass sie hätte sagen können, was sie Großartiges erwartet hatte. Es war nur das Altersheim, in dem Thilo bisweilen aushalf, das anfragte, ob er Montagnachmittag komme. Sie versprach, es auszurichten, und legte mit einem vagen Gefühl der Enttäuschung wieder auf.
    Das Altersheim. Das war eine der Eigenheiten ihres Sohnes, die sie nie begreifen würde. Seit Thilo eher gezwungenermaßen im Rahmen eines Schulprojekts zwei Wochen im Altersheim mitgeholfen hatte, ließ er keine Woche verstreichen, ohne nicht mindestens einmal einige Stunden dort zu verbringen. Freiwillig, und ohne einen Pfennig Bezahlung. Und er verlor kein Wort darüber, was ihn dazu veranlasste.
    Dann stand sie am Fenster und starrte hinaus in den konturlos grauen Himmel. Es war angenehm, das Gefühl für Zeit und Raum zu verlieren.
    Sie hätte nicht sagen können, wie lange sie so gestanden hatte. Irgendwann ging sie die Treppe hinauf, in Sabrinas Zimmer, wo sie alle drei zusammen auf dem Boden saßen, und sagte Thilo, dass das Altersheim angerufen hatte.
    »Okay«, sagte er nur.
    »Weißt du, was uns Kelwitt gerade erzählt hat?«, verkündete ihre Tochter voller Begeisterung. »Er hat die Erde besucht, weil wir so eine Art Orakel für ihn sind!«
    »Wie seltsam«, erwiderte Nora Mattek und ging wieder die Treppe hinunter, nahm das Telefon, fing an zu wählen und legte mittendrin wieder auf. Nein. Wolfgang mochte es nicht, wenn sie ihn im Geschäft anrief wegen irgendwelcher Gefühlszustände. Was war denn schon los? Nichts, womit sie nicht selber fertig werden konnte.
    Aber nach einer unruhigen Runde durch die Räume des Erdgeschosses griff sie wieder nach dem Telefon, nahm es mit ins Wohnzimmer, legte es neben sich auf die Couch und schaltete den Fernseher wieder ein. Ihre Knie begannen zu wippen, wie von selbst. Sie schaltete den Fernseher wieder ab und wählte Wolfgangs Nummer.
    »Hol mich ab«, bat sie. »Lass uns essen gehen, irgendwohin. Bitte. Raus, irgendwohin, wo alles normal ist.«
    Am anderen Ende der Leitung war es einen abgrundtiefen Moment lang still. Dann sagte Wolfgang: »Ja, Schatz. Ich komme in einer Stunde, in Ordnung?«
    »Ja. In einer Stunde. Danke. Danke dir.«
    Ihre Knie hatten aufgehört zu zittern.
    An diesem Nachmittag erfuhren Sabrina und Thilo, was es mit der Orakelfahrt auf sich hatte und was der jombuuranische Brauch der Sterngabe war.
    »Abgefahren«, meinte Thilo.
    »Schrill«, meinte Sabrina.
    »Im Internet soll’s übrigens auch so was Ähnliches geben«, wusste Thilo. »Irgend so eine Stelle, die Sterne verkauft. Da kann man sich einen raussuchen, der noch keinen Namen hat, und der wird dann nach einem benannt. Man bekommt eine Urkunde darüber zugeschickt. Und bezahlen kann man mit Kreditkarte.«
    »Ist auch schon mal jemand zu seinem Stern hingeflogen?«, wollte Sabrina wissen.
    »Nicht dass ich wüsste«, meinte Thilo. »Das ist noch ’ne Marktlücke.«
    Zwischendrin kam ihre Mutter noch mal kurz rein und erklärte, dass sie und Vater ausgehen würden und sie sehen müssten, wie sie sich selber verköstigten.
    »Alles klar«, meinte Sabrina. »Ich koch’ uns Spaghetti oder so was.«
    Später hockten sie dann alle drei in der Küche, und Thilo und Sabrina ließen sich von Kelwitt dabei zusehen, wie sie einen Riesentopf Spaghetti mit Tomatensoße verdrückten.
    Danach ließen sie Bücher und Fernseher sein, hauptsächlich deshalb, weil Sabrina und Thilo der Dauerunterricht allmählich auf den Wecker ging, hockten sich stattdessen um den Couchtisch herum und versuchten, Kelwitt »Mensch ärgere dich nicht« beizubringen.
    Das wurde lustiger, als sie erwartet hatten. Kelwitt begriff, nachdem er die Figuren, den Würfel und das Spielbrett eingehend in Augenschein genommen hatte, recht schnell, worauf es ankam, hielt tapfer mit und gewann sogar auf Anhieb. Was er nicht so recht zu begreifen schien, war, wozu man so ein Spiel spielte.
    Die Idee des Gewinnens an sich schien ihm völlig fremd zu sein.
    Sie spielten noch eine zweite

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