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Kelwitts Stern

Kelwitts Stern

Titel: Kelwitts Stern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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Unsremuutr ihre Schlafmulden hatten. Oder was die Bewohner dieses Planeten dafür hielten, ihre wabbeligen Ruhemöbel eben.
    Kelwitt legte die Hand auf den Türgriff und drückte das Metallstück sachte abwärts. Das Geräusch wurde lauter, als er die Tür einen Spalt weit öffnete und hindurchspähte.
    Es war dunkel, dunkler als auf dem Gang, obwohl durch einen Spalt der Stoffbahnen vor dem Fenster ein wenig Mondlicht hereinschien. Auf dem großen Ruhemöbel in der Mitte des Raums lagen zwei Planetenbewohner, in denen Kelwitt F’tehr und Unsremuutr zu erkennen glaubte -obwohl er sich keineswegs sicher war, denn sie hatten sich offenbar ihrer Kleidung entledigt -, ihre Körper ineinander verschlungen und sich mit seltsamen Bewegungen umeinander herum bewegend.
    Und dabei erzeugten sie diese Geräusche.
    »Sagen sie etwas, Tik?«, fragte Kelwitt leise.
    »Vereinzelt sind Wortfetzen zu identifizieren«, gab Tik zurück. »Ich erkenne › Du ‹ und ›Ja‹, aber ohne Sinnzusammenhang.«
    »Eigenartig«, meinte Kelwitt. »Und was tun sie?«
    »Ich sehe nichts«, erklärte der Computer auf seiner Schulter, und es klang fast missbilligend.
    Kelwitt sah noch eine Weile zu, ohne sich einen Reim machen zu können. Schließlich zog er die Tür so leise wieder zu, wie er sie geöffnet hatte.
    »Sie scheinen einander zu essen«, erklärte er Tik. »Seltsam. Manchmal könnte man meinen, die Erdbewohner haben nichts anderes im Kopf als die Nahrungsaufnahme.«

10
    Am nächsten Morgen fand Kelwitt nur Unsremuutr im Nahrungsraum vor, und soweit er feststellen konnte, fehlte kein Teil von dessen Körper. F’tehr dagegen war nirgends aufzufinden. Ob das hieß, dass er aufgegessen worden war?
    Er wagte nicht nachzufragen. Am Ende hatten sie ihn auch nur mitgenommen, um ihn irgendwann zu verspeisen? Er würde sich vorsehen.
    »Darf ich das auch fotografieren?«, fragte Sabrina und deutete auf das eigenartig geformte Buch, das Kelwitt in einer Tasche seines feuchten Anzugs mit sich herumtrug.
    »Ja«, nickte Kelwitt.
    Sie hatte schon zweieinhalb Filme verknipst. Kelwitt von vorn, von hinten, stehend, sitzend, liegend, neben Sabrina sitzend (per Selbstauslöser), Nahaufnahmen der Hände, der Füße, des Gesichts, der Atemöffnung auf dem Scheitel, des borstenumrankten Mundes an der Unterseite des Kopfes, der großen dunklen Augen – alles, was ihr eingefallen war. Kelwitt hatte alles geduldig über sich ergehen lassen.
    Nun nahm Sabrina behutsam das Buch, das Kelwitt ihr reichte.
    Erstaunlich, aber es war tatsächlich ein Buch: ein Stapel Blätter, der an einer Seite zusammengeheftet war, sodass man bequem darin blättern konnte. Noch so eine anscheinend universelle Erfindung.
    Allerdings waren die Seiten nicht rechteckig geformt, sondern hatten ungefähr die Form eines Blütenblattes. Und sie bestanden natürlich nicht aus Papier, sondern aus einer matt glänzenden, hauchdünnen Folie, die sich ungemein geschmeidig blättern ließ. Schmuckstücke hätte man daraus machen sollen, Diademe, Armbänder – nicht Buchseiten.
    Und was erst auf diesen Seiten gedruckt war, oder wie immer die entsprechende Technik auf Kelwitts Heimatstern genannt wurde – die reinsten Kunstwerke!
    Jede Seite war ein farbenprächtiges Bild aus ineinander verschlungenen und verwobenen Schriftzeichen, die aussahen, als hätte sich ein Künstler gesagt: Nun kreuzen wir mal chinesische und arabische Schriftzeichen, und dann machen wir das alles noch viel, viel komplizierter. Jede Seite sah anders aus, Sabrina kam aus dem Fotografieren überhaupt nicht heraus. Sie würde das ganze Buch fotografieren und sich die schönsten Bilder vergrößert an die Wand hängen. Gleich heute Nachmittag würde sie noch mal losgehen und noch mehr Filme kaufen.
    »Und man kann das wirklich lesen?«, vergewisserte sie sich.
    »Ja.« Kelwitt warf ihr einen Blick über die Schulter zu. Sie hatte das Buch auf ihrer Schreibtischunterlage ausgebreitet, wo die besten Lichtverhältnisse herrschten. »Das ist gerade die Beschreibung der Orakelzeichen blauer Riesensonnen.«
    »Und was ist unsere Sonne für eine?«
    Kelwitt machte eine graziöse Geste. »Meine Sonne ist ein gelber Stern.«
    »Nein, ich meinte unsere Sonne …«
    »Kelwitts Stern. Eure Sonne ist Kelwitts Stern. Eine gelbe Sonne mittlerer Größe.«
    Sabrina sah ihn konsterniert an. Aus seinem Gesicht war einfach kein Mienenspiel herauszulesen. Aber es klang so, als beharre er hartnäckig auf seinen seltsamen Besitzansprüchen.

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