Kelwitts Stern
»Na gut«, seufzte sie. »Von mir aus.«
Er blätterte weiter. »Hier sind die Orakelzeichen«, erklärte er und deutete auf ein farbenfrohes Labyrinth aus Strichen und Symbolen. »Aber viel wichtiger ist, dass ein Planet bewohnt ist.« Er schlug eine Seite viel weiter hinten auf. »Hier beginnen die Orakelzeichen für bewohnte Planeten. Ich habe das noch nicht alles durchgelesen, weil ich nicht erwartet hatte, dass meine Sonne einen bewohnten Planeten haben würde.«
»Ist das selten?«
»Sehr selten.«
»Dann gibt es außer euch und uns gar nicht so viele Wesen im All?«
»Doch, sehr viele.«
»Gerade hast du gesagt, es sei sehr selten, dass eine Sonne einen bewohnten Planeten hat.«
»Ja«, nickte Kelwitt. »Aber es gibt sehr viele Sonnen. Mehr Sonnen als Sandkörner an allen Buchten Jombuurs.«
»Soweit ich weiß, haben unsere Wissenschaftler noch keine Beweise für anderes Leben im All gefunden«, erklärte Sabrina und versuchte, sich an die diversen Bücher zu diesem Thema zu erinnern, die sie gelesen hatte.
»Eines Tages werden sie sie sicher finden«, entgegnete Kelwitt leichthin. Er deutete auf ihren Fotoapparat. »Du fertigst ja gerade welche an.«
»Naja«, meinte Sabrina zweifelnd. »Ich fürchte, das glaubt mir trotzdem kein Mensch. Die Bilder sind eher fürs Familienalbum, weißt du?«
»Familienalbum«, wiederholte Kelwitt. »Ist das so etwas wie die Chronik deines Schwarms?«
»Ja«, nickte Sabrina. Sie nahm Kelwitts Buch in die Hand und betrachtete die Seite, die er aufgeschlagen hatte. »Was hast du denn jetzt eigentlich für Orakelzeichen gefunden bei uns? Gute?«
Kelwitt setzte sich wieder auf sein Wachstuch. »Ich bin verwirrt«, gestand er. »Es ist so viel passiert, aber nichts davon ist in meinem Buch erwähnt. Fast nichts. Ich weiß nicht, was das alles zu bedeuten hat.«
»Schade, dass du nicht bis Silvester bleibst«, meinte Sabrina gedankenverloren. »An Silvester machen wir immer Bleigießen.«
»Was ist Silvester?« wollte Kelwitt wissen.
»An Silvester endet ein Jahr. Am nächsten Tag ist Neujahr, der erste Tag des neuen Jahres.« Diese Definitionen, die Kelwitt immer wieder abfragte, gingen ihr mittlerweile wie von selbst über die Lippen. »Naja, und dieses Jahr ist ein besonderes Jahr, das Jahr 1999. Das heißt, an diesem Silvester geht ein Jahrtausend zu Ende, und ein neues beginnt. Deswegen sind zurzeit alle Leute etwas aufgeregt.«
»Ihr zählt die Sonnenumläufe.«
»Ja.«
Kelwitt hob eine Hand und ließ die vier tentakelartigen Finger daran einander umtanzen. »Euer Zahlensystem beruht darauf, dass ihr an einer Hand fünf Finger habt statt vier.«
»Richtig.«
»Die Menschen sind also aufgeregt wegen eines Übergangs in einem Zahlensystem, das auf ihrer eigenen Anatomie beruht?«
»Ähm …«, sagte Sabrina.
So hatte sie sich das überhaupt noch nie überlegt. Allenfalls hatte sie sich an den hitzigen Diskussionen in der Schule beteiligt, die von den ewigen Besserwissern geführt worden waren: dass nämlich das zweite Jahrtausend eigentlich erst am 3. Dezember 2000 endete. Weil es nämlich kein Jahr 0 gegeben habe. Also sei das erste Jahr des nächsten Jahrtausends das Jahr 2001. Und so weiter. All dieser logische Schmarren, auf den kein Mensch Rücksicht nehmen würde.
»Ja«, meinte sie. »Kann man wohl so sagen.«
Kelwitts Kopf machte eine elegante, schwenkende Bewegung. »Wie kann man Blei gießen? Gießen kann man nur Flüssigkeiten. Blei ist ein Element. Ein Metall. Atomgewicht zweihundertsieben. Wie kann man es gießen?«
Sabrina schüttelte den Kopf. »Wie machst du das? Du liest das Lexikon einmal durch und kannst es auswendig. Ich könnte es hundertmal lesen und hätte nichts behalten.«
»Das macht Tik«, erklärte Kelwitt und berührte die glänzende metallene Spange auf seiner Schulter. »Er speichert alles.«
»Ihr könntet ein Mordsgeschäft machen, wenn ihr die Dinger auf die Erde exportieren würdet.«
»Mordsgeschäft?«, echote Kelwitt verständnislos.
Sabrina winkte ab. »Schon gut. Wir waren beim Bleigießen.«
»Jawohl. Bleigießen.«
»Man kann Blei in einem Löffel über einer Kerzenflamme schmelzen. Und wenn es flüssig ist, gießt man es mit einem Ruck in kaltes Wasser. Dabei entstehen die merkwürdigsten Figuren, und die deutet man dann.«
»Ein Orakel!« Es klang erstaunt.
»Ja, so was in der Art. Es heißt, dass man aus den Figuren ablesen kann, was einem das nächste Jahr bringt. Wenn man eine Art Schiff gießt,
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