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Kelwitts Stern

Kelwitts Stern

Titel: Kelwitts Stern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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Lacher?«, echote Sabrina entgeistert. »Ich dachte, mit dem willst du nie wieder etwas zu tun haben?«
    »Will ich auch nicht«, meinte Mattek. »Aber er schuldet mir ja wohl zumindest einen Gefallen, oder?« Damit verschwand er wieder, und die Tür zum Arbeitszimmer rummste wieder.
    Über das Weiß von Kelwitts Augäpfeln zogen dunkle Schlieren wie sturmgepeitschte Wolken. »Wieso schuldet er ihm einen Gefallen?«, wiederholte er schlaftrunken.
    Sabrina seufzte. »Das erklär’ ich dir ein andermal.« Und nachdem Kelwitt beruhigt zurück auf sein hartes, nasses Lager gesunken war, setzte sie leise hinzu: »Oder auch nicht.«

18
    Am nächsten Morgen ging es Kelwitt etwas besser. Die Nacht über hatte er ziemlich im Haus herumrumort, war türenschlagend umhergeirrt, sodass sie mehrmals aus den Betten gesprungen waren, um nach ihm zu sehen. Er habe sich noch einmal entleert, erklärte er gegen halb vier Uhr früh, und danach gab er endlich Ruhe. Trotzdem bestand Vater Mattek beim Frühstück eindringlich auf dem Arztbesuch. »Ein Arzt unterliegt der Schweigepflicht. Sogar Doktor Lacher. Es kann also gar nichts passieren«, erklärte er und sah auf die Uhr. »Ich muss los, die Jahrtausendwende wartet.«
    Als sie ihm den Parka überstreifen wollten, den er für den Weg zum Altersheim getragen hatte, wurde Kelwitt plötzlich renitent. Es gehe ihm nicht so gut, dass er sich die Haut trockensaugen lassen wolle. Also hängten sie den Parka wieder weg und gingen mit ihm, wie er war: eine silbergraue Gestalt, die wie eine Kreuzung aus einem mageren Teenager und einem Delphin aussah und einen eng anliegenden, quietschnassen Anzug trug. Von Rechts wegen hätte ihm der Anzug draußen auf dem Leib gefrieren müssen, aber aus irgendeinem Grund tat er das nicht. Nur die Fußspuren, die er auf dem Asphalt zurückließ, kristallisierten hinter ihm zu seltsamen silbrigen Figuren.
    »Ich fasse es nicht«, raunte Sabrina ihrem Bruder zu. »Die ganze Zeit verstecken wir ihn, gehen nur nachts mit ihm raus, und das auch nur verkleidet – und jetzt das. Am helllichten Tag durchs Einkaufszentrum. Am ersten Werktag nach Weihnachten.«
    Die Praxis von Doktor Lacher, dem einzigen Allgemeinarzt weit und breit, lag mitten in der Ladenstraße. Rechts die Apotheke, links eine Bankfiliale, gegenüber ein Supermarkt. Es konnte nicht ausbleiben, dass die Leute sie anstarren würden wie Erscheinungen.
    Bestimmt würde es eine Panik geben. Polizei würde kommen und alles abriegeln … Sabrina bekam feuchte Hände, während sie darüber nachdachte.
    Aber es war das Einkaufszentrum. Am ersten Werktag nach Weihnachten. Die Leute hatten leergefutterte Kühlschränke zu Hause und anderes zu tun, als andere Leute anzustarren. Der eine oder andere verwunderte Blick streifte sie, man schaute ihnen nach, runzelte die Stirn und konzentrierte sich dann wieder auf seine Besorgungen, und eine Oma am Krückstock machte sich die Mühe, vorsichtshalber die Straßenseite zu wechseln.
    Bloß ein Kind, ein vielleicht fünfjähriger Knirps, der neben seiner Mutter daherhüpfte, zeigte auf Kelwitt und rief: »Guck mal, Mama! Ein Außerirdischer!«
    Worauf seine Mutter ihm auf die Hand patschte. »Ich hab dir schon tausendmal gesagt, dass man nicht mit dem Finger auf Leute zeigt!«
    »Aber das ist doch kein Leut!«, protestierte der Kleine. »Das ist ein Außerirdischer!«
    »Ja, der sieht seltsam aus«, nahm seine Mutter ihre pädagogische Pflicht wahr, ihrem Kind die Wahrheit über die Welt nahezubringen. »Aber es ist nur ein Mann, der ein Kostüm anhat, verstehst du?«
    »Aber warum hat der Mann ein Kostüm an?«, kam es in gnadenlosem Kinder-fragen-ihren-Eltern-ein-Loch-in-den-Bauch-Singsang.
    »Er macht Werbung für einen neuen Kinofilm. Er hat das Kostüm an, damit die Leute neugierig auf den Film werden.«
    »Was für einen Film denn?«, bohrte der Pimpf weiter.
    Das wusste die allwissende Mutter nun auch nicht. »So ein Weltraumfilm halt«, meinte sie vage und warf Sabrina einen finsteren Blick zu.
    »Du, stimmt das?«, wollte das Kind von Sabrina wissen.
    Sabrina, die sich eigentlich schon die ganze Zeit am liebsten in die andere Richtung davongemacht hätte, sah auf die großen Augen des Kleinen hinab. Bestimmt hatte er noch nie etwas vom Weihnachtsmann gehört, geschweige denn vom Klapperstorch.
    »Nein«, hörte Sabrina sich sagen. »Das stimmt nicht. Du hast recht. Das ist ein richtiger Außerirdischer.«
    Ein Leuchten glomm in diesen Augen auf. »Siehst du,

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