Kennedy-Syndrom - Klausner, U: Kennedy-Syndrom
den er sich mit aller Macht sträubte, bedauerlicherweise nicht inbegriffen. »Soll ich Ihnen sagen, wie sich das Ganze abgespielt hat?«
Der S-Bahn-Bedienstete schnappte nach Luft, öffnete den Mund – und sackte buchstäblich in sich zusammen.
»Keine Einwände? Freut mich.« Sydow erhob sich, sah Klimowitz von oben herab an und sagte: »Machen wir’s kurz. Irgendwo zwischen dem Lehrter Bahnhof und dem Bestimmungsort des Zuges, einem malerischen Flecken Erde namens Wannsee, wird der Unbekannte, von dem Sie behaupten, ihn erst am Ende der Fahrt tot aufgefunden zu haben, auf höchst unsanfte Art und Weise – nämlich per Kopfschuss – ins Jenseits befördert. Der Mörder ergreift daraufhin die Flucht, jedoch nicht so, wie man auf Anhieb vermuten würde. Aus irgendeinem, zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht geklärten Grund schnappt er sich nämlich einen Feuerlöscher, bricht das Gehäuse auf, in dem sich der Hebel befindet, mit dessen Hilfe man die linke Waggontür von Hand öffnen kann. Und verdrückt sich. Nicht ganz ungefährlich und alles andere als unauffällig, aus seiner Sicht jedoch offenbar das einzig Richtige. Soweit alles klar?«
Klimowitz legte die Ellbogen auf den Tisch, beugte sich nach vorn und schien über etwas nachzudenken. Sydow tat so, als nehme er keine Notiz davon. »Und Sie wollen mir weismachen, von dem Tohuwabohu, das der mutmaßliche Mörder veranstaltet hat, nichts mitgekriegt zu haben. Mal ehrlich, Herr Lokführer: Halten Sie mich für so dämlich, dass ich Ihnen das abkaufe? Ich verstehe ja nicht viel von Technik und noch weniger vom S-Bahn-Fahren, aber eins weiß ich genau: Wenn eine Tür gewaltsam geöffnet worden ist, kann das dem Lokführer, also Ihnen, ganz bestimmt nicht verborgen geblieben sein. Wissen Sie was, Klimowitz? Wir beide machen jetzt einen kleinen Spaziergang, rüber in die Lokführerkabine. Dort dürfen Sie mir dann ihre Armaturen und diverse Knöpfe, Schalter und Lampen erklären. Vor allem, was passiert, wenn eine der Türen nicht richtig schließt. Und woran man das merkt, wenn man vorne im Führerhaus …«
»Schon gut, Herr Hauptkommissar, schon gut.« Klimowitz hob beschwichtigend die Hände und richtete sich im Zeitlupentempo auf. »Es war genauso, wie Sie sagen. Die Tür wurde aufgebrochen. Mit Gewalt.«
»Und wo?«
»Am Bahnhof Zoo. Kurz vor der Weiterfahrt.«
»Genauer Zeitpunkt?«
»Um fünf.«
»Auf die Minute genau?«
»So ziemlich.«
»So ziemlich, aha«, flüchtete sich Sydow in Ironie, wie sooft, wenn er nach langem Hin und Her der Wahrheit auf die Spur gekommen war. »Und das von einem Lokführer.« Schweigen, ein gestrenger Blick und die Reaktion im Form eines Verlegenheitsräusperns. Dann jedoch, etliche Sekunden später, die alles entscheidende Frage: »Und von wem?«
Zum ersten Mal während des mittlerweile gut eineinviertel Stunden währenden Gesprächs hob Klimowitz den Kopf, nahm seine Uniformmütze ab und kratzte sich so lange und hingebungsvoll, dass der Eindruck entstand, er habe Flöhe. Am Ende der Prozedur, die Sydow wie eine Ewigkeit vorkam, setzte er die Mütze wieder auf und stierte trübsinnig vor sich hin. Der Lokführer schien unsicher, von der Richtigkeit seines Entschlusses alles andere als überzeugt. »Von einem Ami, Herr Hauptkommissar«, gestand er schließlich mit einem Höchstmaß an Selbstüberwindung ein. »Und von was für einem.«
»Und woher wollen Sie wissen, dass es ein …«
»Ich kenne mich da aus, Herr Kommissar«, warf Paul Klimowitz, auf einen Schlag wie verwandelt, mit trotziger Miene ein. »Keine Bange! So viel Hirnschmalz kann ich gerade noch auftreiben.«
»… es ein Ami war?«
»Wie gesagt – ich will gerade weiterfahren, da merke ich, dass eine der Türen blockiert. Ich also nichts wie raus aus meinem Kabuff und wie eine gesengte Sau in den hintersten Waggon. Mann, war ich sauer, Herr Kommissar – kann Ihnen gar nicht sagen, wie. So fuchtig, dass ich die Nutte, die gerade am Aussteigen war, beinahe über den Haufen gerannt hätte. Kurz und gut, ich sause also mit Karacho durch den Waggon, da steht plötzlich dieser Kerl vor mir und glotzt durch die offene Tür. Ich denke, mich tritt ein Gaul und lasse einen Brüller fahren, der sich gewaschen hat. Das Brüllen ist mir aber ziemlich schnell vergangen.«
»Wieso?«
»Weil mit dem Kerl, dem ich an die Gurgel wollte, nicht zu spaßen war.«
»Das müssen Sie mir erklären.«
»Da gibt’s nichts zu erklären. Sich mit dem Kerl
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