Kennedy-Syndrom - Klausner, U: Kennedy-Syndrom
Pleite in der Schweinebucht, seit Neuestem auch noch Vietnam – andauernd müssen diese Yankees ihre Nase in anderer Leute Anjelegenheiten stecken.«
»Wie zum Beispiel in die Unsrigen, meinen Sie.«
»Eens kann ick Ihnen sagen, ob Sie mir’s nun glauben oder nich. Allzu lange wird sich der Iwan dat nich mehr mit angucken. Und der olle Ulbricht da drüben ooch nich. Dann kriegt der Ami eins vor den Latz jeknallt. Dass es nur so scheppert.«
»Und woher wollen Sie das so genau wissen?«
»Von meinem Bruder. Lebt drüben im Osten. Parteiaktivist. Eener von den Hundertprozentigen.«
»Und Sie?«
»Icke? Is dat Ihr Ernst? Ick hab mit der Politik nüscht am Hut. Aber auch gar nüscht.« Nicht gewillt, auf Sydows Ablenkungsmanöver einzugehen, tippte sich der Taxifahrer an die Stirn und schwadronierte: »Jedenfalls sagt mein Bruder, dass es demnächst zur Sache jehn und der Iwan diesem Kennedy zeigen wird, wer der Herr im Hause is.«
Sydow, der für Politiker nicht übermäßig viel übrig hatte und allein deswegen keinerlei Lust verspürte, sich auf eine längere Diskussion einzulassen, verfiel in beharrliches Brüten und überlegte fieberhaft, wie er das unerquickliche Thema abschließen konnte. Nicht so der Taxifahrer, der sein Schweigen offenbar missverstand und jetzt erst richtig loszulegen begann. »Unter uns, Herr Sydow –«, setzte er seine Rede zur Lage von Berlin ungeniert fort, »sind Sie vielleicht scharf drauf, dass wir jeden Tag über tausend Hungerleider aus dem Osten bei uns aufnehmen? Irjendwann kommt nämlich mal der Punkt, wo wir uns dat nich mehr leisten können. Und der jute Willy Brandt 36 ooch nich. Macht hoch die Tür, die Tor macht weit. Lange jeht dat nicht mehr jut, darauf geb ick Ihnen Brief und Siejel.«
»Eine Frage, Herr Paschulke«, fiel Sydow dem Taxifahrer unvermittelt ins Wort, »haben Sie den Mann auf dem Foto schon mal gesehen?«
»Een Polyp, hätt ick mir ja denken können.« Die linke Hand am Steuer, griff Paschulke nach der Schwarz-Weiß-Aufnahme, die Sydow ihm vor die Nase hielt, blitzte sie scheel an und gab sie postwendend zurück. »Hab ick«, brummte er kurz angebunden, augenscheinlich nicht gerade erfreut. »Und wat is mit ihm?«
»Später, Herr Paschulke«, beschied Sydow seinen Nebenmann und gratulierte sich zu dem Dusel, den er wieder einmal gehabt hatte. »Zuvor hätte ich nämlich ein paar Fragen – mit der Bitte, sie postwendend zu beantworten.«
21
Berlin-Wannsee, Am Großen Wannsee | 21.25 h
»Hier, für Sie!« Sichtlich zufrieden drückte Sydow dem Taxifahrer ein Fünfmarkstück in die Hand, nickte ihm freundlich zu und klopfte auf die Brusttasche seines Sakkos, in der sich das Konterfei von Blaschkowitz befand. »Der Rest ist für Sie.« Danach stieg er aus, schloss die Tür und ging die kurze Strecke, welche ihn von seinem Haus trennte, zu Fuß.
Ein abgekartetes Spiel also. Zumindest sah es danach aus. Sydow beschleunigte seinen Schritt. Hier Ernst Blaschkowitz aus Kreuzberg, dort eine rassige Schönheit, die aus Gründen, die Paschulke nicht klar geworden waren, alles darangesetzt hatte, um mit einem etwa 20 Jahre älteren Mann ins Bett zu steigen. Mit einem Mann, der, gelinde gesagt, mehrere Nummern zu klein für sie und vermutlich auch nicht mehr ganz nüchtern gewesen war. Hinzu kam, dass der Taxifahrer, ein Mann mit geschulter Beobachtungsgabe, felsenfest davon überzeugt gewesen war, es habe sich bei der mysteriösen Schönheit keinesfalls um eine Prostituierte gehandelt. Da es sich bei Paschulke offenbar um einen profunden Kenner der Szene und menschlicher Schwächen handelte, war Sydow geneigt, auf sein Urteil zu vertrauen, wenngleich man das Gegenteil natürlich nicht ausschließen konnte.
Eins war in jedem Fall gewiss, oder, vorsichtig ausgedrückt, ziemlich naheliegend. Nach Lage der Dinge war Ernst Blaschkowitz Opfer eines bis ins Detail ausgetüftelten Komplotts geworden, auf einen Lockvogel hereingefallen und anschließend, nachdem er seinen Zweck erfüllt hatte, beseitigt und in der Schrottpresse der Firma Lenuweit und Co. deponiert worden. Angenommen, Sydows Hypothese träfe zu, würde dies bedeuten, dass der Vamp, welcher nicht nur bei seinem Verehrer, sondern auch bei Paschulke einen bleibenden Eindruck hinterlassen hatte, mit dem Mörder beziehungsweise den Mördern von Blaschkowitz unter einer Decke steckte. Das wiederum hieß, dass die adrette Dame vom CIA angeheuert und dahingehend instruiert worden war, ihn
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