Kennedy-Syndrom - Klausner, U: Kennedy-Syndrom
überhaupt. Jetzt hing alles davon ab, ob die Gestalt, die sich schemenhaft hinter dem Steuer abzeichnete, auf seine Masche reinfallen würde. Und wenn ja, ob er die Chance, die sich ihm bot, würde nutzen können.
Acht, fünf, drei – und Hechtsprung.
Das laute, durch Mark und Bein gehende Bremsgeräusch des Moskwitsch im Ohr, rappelte sich Sydow auf, riss seine Waffe hoch und feuerte, was das Zeug hielt, auf die Heckscheibe. Er tat dies blindlings, mit einer gehörigen Portion Wut im Bauch. Und, wie er sich hinterher eingestehen musste, mit einer zumindest ebenso großen Portion Hass. Hass auf die Banditen, mit denen er sich seit Jahren herumschlagen musste. Hass auf all die Drahtzieher, denen man nicht an den Karren fahren konnte. Und mit nichts als Abscheu gegenüber Regierungen, die sich solcher oder ähnlicher Mittel bedienten.
Dem Moskwitsch und seinen Insassen schien dies nichts anhaben zu können. Doch dann, in gut 30 Metern Entfernung, geschah es. Die Limousine schrammte an einer Buche entlang, dass die Funken nur so sprühten, geriet außer Kontrolle, legte sich quer und prallte mit dem rechten Kotflügel gegen einen Laternenpfahl.
Und blieb mit demolierter Karosserie liegen.
Ohne eine Sekunde zu zögern, stürmte Sydow mit gezückter Waffe los. Was er da tat, war natürlich Wahnsinn, eine Pokerpartie mit dem Tod. Doch wie immer, wenn ihn der Zorn packte, dachte er nicht an die Konsequenzen und warf jegliche Vorsicht über Bord.
Eine Stinkwut im Bauch, hetzte Sydow auf den Moskwitsch los, bereit, die Fahrertür aufzureißen und es den Kerlen, die ihn beseitigen wollten, nach Kräften heimzuzahlen. Aber dazu sollte es nicht mehr kommen.
Ehe Sydow sein Ziel erreichte, wurde die Tür der Limousine plötzlich aufgestoßen. Einem angeborenen Instinkt folgend, versuchte er hinter einer Eiche in Deckung zu gehen und machte einen Satz nach rechts. Aber er hatte sich verkalkuliert. Der Mann, allem Anschein der Fahrer, blieb in Deckung, rührte sich nicht vom Fleck. Die Waffe in der Hand, kauerte Sydow hinter der Eiche und fluchte lautstark vor sich hin. Ausgerechnet jetzt, wo es aufs Ganze ging, klemmte anscheinend das neue Magazin.
Doch damit nicht genug. Als sei nichts geschehen, stieß der Moskwitsch zurück, bog um die Ecke und jagte mit quietschenden Reifen davon. Sydow fluchte, was das Zeug hielt. Immer noch mit seiner Waffe beschäftigt, die partout nicht funktionieren wollte, verlor er schließlich die Geduld und schleuderte sie ins Gebüsch. Dann rappelte er sich auf und rannte dem Moskwitsch hinterher. Das war natürlich völliger Humbug, wusste er doch genau, dass er den Kürzeren ziehen und die Limousine binnen Kurzem aus den Augen verlieren würde.
Weit gefehlt. In etwa 100 Metern Entfernung hielt der Moskwitsch auf einmal an. Wieso, war Sydow zunächst schleierhaft. Kurz darauf, zu weit entfernt, als dass er hätte eingreifen können, wurde ihm der Grund bewusst.
Aus dem Schatten einer Villa, in dem sie offenbar die ganze Zeit über verborgen gewesen war, löste sich eine Gestalt und schlenderte in aller Gemütsruhe zur Beifahrertür. Der Unbekannte war nicht sehr groß, allenfalls 1,75 Meter. Die Hände in den Taschen, machte er den Eindruck, als ging ihn das, was soeben geschehen war, überhaupt nichts an, schlenderte auf den Wagen zu und öffnete die Beifahrertür. Erst dort, im Schein einer Laterne, die ihn wie eine Fata Morgana erscheinen ließ, drehte er sich in aller Gemütsruhe um.
Das hast du jetzt davon!, schoss es Sydow durch den Kopf. Mit dem Kopf durch die Wand, sieht dir ähnlich. Nur ein Schuss, selbst aus dieser Distanz, und es ist aus mit dir.
Zu keiner Reaktion fähig, blieb er einfach stehen und rührte sich nicht vom Fleck. Sein Gegenüber, der Agent mit dem Dauerlächeln, ließ sich mit dem Einsteigen Zeit, schien die Situation in vollen Zügen zu genießen. Sydow wußte zwar nicht, wieso, war sich jedoch sicher, auf dem Gesicht seines Widersachers so etwas wie Vergnügtheit zu entdecken.
Doch dann, genauso schnell, wie er aufgetaucht war, wandte der Stasi-Agent den Blick von ihm ab, schwang sich auf den Rücksitz und schloss die Tür.
Kurz darauf war der Moskwitsch verschwunden, und mit ihm der Mann, dessen Lächeln ihm fortan nicht mehr aus dem Sinn gehen sollte.
22
Berlin-Charlottenburg, Waldbühne | 21.42 h
Juri Andrejewitsch Kuragin war mit allen Wassern gewaschen, und vor allem ihm, dem einstigen
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