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Kennedy-Syndrom - Klausner, U: Kennedy-Syndrom

Kennedy-Syndrom - Klausner, U: Kennedy-Syndrom

Titel: Kennedy-Syndrom - Klausner, U: Kennedy-Syndrom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Klausner
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bewegte sich wie in Trance auf den Sektorenübergang zu. Wie vor den Kopf geschlagen, loderte unbändiger Zorn in ihm empor, wäre Lea nicht gewesen, nach der er verzweifelt Ausschau hielt, hätte er vermutlich die Beherrschung verloren.
    Und so nahmen die Ereignisse ihren Lauf, als sei das, was sich jenseits der Sektorengrenze abspielte, eine Selbstverständlichkeit. Sydow fehlten die Worte, und er fragte sich, wie es sein konnte, dass die Vorbereitungen für dieses Überrumpelungsmanöver geheim geblieben waren. Die Hände in den Hosentaschen vergraben und umgeben von einer wachsenden Menge, die aus ihrer Verbitterung keinen Hehl machte, ließ er den Blick über die Köpfe seiner Mitbürger schweifen und ballte die Rechte zur Faust. Ein Panzerwagen nach dem anderen, Wasserwerfer und kolonnenweise Betriebskampfgruppen, die automatischen Waffen griffbereit vor der Brust. Uniformierte hinter Stacheldraht, so weit das Auge reichte, dicht an dicht, Dutzende, wenn nicht gar Hunderte. Regungslos, starr, zu allem entschlossen. Auf westlicher Seite dagegen nur hier und da ein Polizist, von den Briten, der angeblichen Schutzmacht, keine Spur.
    Sydow stieg die Zornesröte ins Gesicht. »Scheiß Briten!«, fluchte er halblaut vor sich hin, und das, obwohl seine Mutter Engländerin war. Ausgerechnet jetzt, im Angesicht der nahenden Katastrophe, schreckten die Alliierten davor zurück, Flagge zu zeigen. Ausgerechnet jetzt, wo man sie vielleicht hätte abwenden können. Sydow geriet ins Grübeln. Nun ja, mit Betonung auf ‚vielleicht‘. Je länger er nachdachte, desto klarer wurde ihm, dass es nur eine Alternative zum sich anbahnenden Szenario gab.
    Und diese Alternative hieß Krieg.
    Hier Ami, dort Russki, lautete folglich die Devise, keiner, so schien es, wollte dem anderen ins Gehege kommen. Für Sydow nichts als blanker Hohn, wusste er doch genau, dass man eine Stadt nicht so einfach aufteilen konnte. Allein der Versuch, dies zu tun, war für ihn ein Verbrechen. Ein Gewaltakt, der seinesgleichen suchte.
    Eingekeilt in die immer dichter werdende Menge, sah sich Sydow Hilfe suchend um. Vopos, Stacheldraht und Militärfahrzeuge, so viele, dass man mit dem Zählen beinahe nicht nachkam. Und was geschah? Nichts. Das sollte mal einer verstehen. Ein halbes Dutzend amerikanische Panzer, und Chruschtschows Lakaien, die all das hier zu verantworten hatten, würden den Schwanz einziehen. Davon war er felsenfest überzeugt. Zutiefst verbittert, hatte Sydow Mühe, seinen Groll gegen die Machthaber in der DDR zu unterdrücken. Ende der Vorstellung, Pustekuchen. An einer Konfrontation mit den Russen waren Kennedy, Macmillan 43 , de Gaulle und wie sie sonst noch alle hießen, anscheinend nicht interessiert. Nicht im Entferntesten. Paroli bieten ja, aber wenn, dann nicht in Berlin. So und nicht anders lautete die Botschaft, welche aus London und Washington übermittelt wurde.
    Die Menge, mittlerweile mehrere Hundert Passanten stark und zusehends in Rage, dachte anscheinend ebenso wie er. Drohungen wurden ausgestoßen, Parolen skandiert, die Uniformierten vor dem Brandenburger Tor mit Schimpfwörtern überhäuft. Das Gedränge wuchs, und mit jeder Minute, die verstrich, auch die Gefahr, dass die Lage eskalieren würde. Auge in Auge mit einer wütenden, nach vorn drängenden und vermutlich zu allem entschlossenen Menge, hatten die Westberliner Polizisten alle Hände voll zu tun, um die Passanten, für die es offenbar kein Halten mehr gab, in Schach zu halten. Es hätte nicht viel gefehlt, und der Zorn, welcher sich im Angesicht der waffenstarrenden Phalanx entlud, wäre in Gewalt umgeschlagen. Sydow tat sein Bestes, um die Umstehenden zu besänftigen, aber da es für ihn Wichtigeres gab, bahnte er sich einen Weg durch die Menge und ließ das Brandenburger Tor, vor dem in diesem Augenblick Geschichte geschrieben wurde, hinter sich.
    Er hatte genug gesehen, zumindest für den Augenblick. Was zählte, war allein Lea, Lea und nochmals Lea. Und natürlich Veronika. Was war mit ihr passiert, weshalb waren sie und Vroni nicht am vereinbarten Treffpunkt erschienen? War sie kontrolliert, am Ende gar von den Vopos aufgegriffen worden? Oder hatte sie vielleicht jemand denunziert? Oder hatte sie, weshalb auch immer, auf einen anderen Sektorenübergang ausweichen müssen? Nur noch von dem Gedanken beseelt, Lea ausfindig zu machen, eilte Sydow zum Potsdamer Platz, vorbei an den Vopos, welche entlang der Ebertstraße Aufstellung nahmen und die

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