Kennedy-Syndrom - Klausner, U: Kennedy-Syndrom
sie sich befand, hatte keine Ahnung, was ihre Bewacher mit ihr vorhatten und erschauderte beim Gedanken an die Mittel, von denen diese Gebrauch zu machen pflegten. Aber sie wusste, dass die Staatssicherheit alles daransetzen würde, sie zum Sprechen zu bringen. Ganz gleich, wie lange sie dazu brauchen würde.
Genau das, schwor sich Lea, durfte jedoch nicht geschehen. Unter gar keinen Umständen, nicht einmal, wenn man sie auf jede nur erdenkliche Weise unter Druck setzen würde, durfte sie preisgeben, welchen Zweck sie mit ihrer Visite verfolgt hatte. Was besagte Methoden anging, welche die Herren vom MfS anwandten, gab sie sich keinerlei Illusionen hin. Vroni zuliebe, die sie aus allem heraushalten wollte, würde sie sämtliche Quälereien, zu denen Menschen überhaupt fähig waren, auf sich nehmen, Hauptsache, ihre Tochter, um die all ihre Gedanken kreisten, käme ungeschoren davon.
An Tom und die Hölle, durch die er ging, wollte sie dagegen lieber nicht denken, sie musste ihre ganze Kraft aufbieten, um die Gedanken an ihn aus ihrem Kopf zu verbannen. Fürs Erste kam es darauf an, nicht die Fassung zu verlieren, Haltung zu bewahren, wie es ihr Vater, Junker, Preuße und damit Klassenfeind par excellence, ausgedrückt hätte. Angesichts der Situation, in der sie sich befand, vielleicht nur Wunschdenken, aber immerhin ein Weg, um dem Verhöroffizier, in dessen Zimmer sie soeben eskortiert worden war, Paroli zu bieten.
Schweigen, nicht einmal ein Blick hinüber zur Tür. Alle, mit denen sie bislang in Berührung gekommen war, hatten, wenn überhaupt, nur das Nötigste gesprochen. Angefangen bei den Zivilfahndern, die ihr zum Verhängnis geworden waren, bis hin zu den Wärterinnen, die sie in Empfang genommen, eine Leibesvisitation durchgeführt und sie anschließend in ihre Zelle gebracht hatten, war man sorgsam darauf bedacht gewesen, sie über die Gründe ihrer Verhaftung im Unklaren zu lassen. Lea wusste, dass dies Teil einer Strategie war, einer Taktik, die darauf abzielte, sie einzuschüchtern und so schnell wie möglich gefügig zu machen.
Mit so etwas, das heißt mit Psychoterror, hatte sie gerechnet, aber was ihr am meisten zugesetzt hatte, war, dass sie nicht wusste, wohin man sie gebracht hatte. Der Wartburg-Transporter, in den man sie verfrachtet hatte, war fensterlos, erst beim Aussteigen, etwa eine halbe Stunde nach ihrer Verhaftung, hatte ihr gedämmert, dass sie nicht auf die Wache, sondern gleich ins Gefängnis gebracht worden war. Dort, in ihrer Zelle, war ihr endgültig klar geworden, auf was es in ihrer Situation ankommen würde. An diesem Ort, zwischen schallisolierter Tür, Pritsche, Fenster aus verstärktem Milchglas und weiß getünchter Wand, durfte sie keine Schwäche zeigen, weder im Angesicht der Grabesstille, welche sie umfing, noch beim Anblick des Stasi-Schergen, der so tat, als habe er sie nicht bemerkt.
»Ein Rat unter Landsleuten – wenn ich Sie wäre, würde ich mit offenen Karten spielen.« Der mittelgroße, zu Fettleibigkeit und widernatürlicher Blässe neigende Stasi-Beamte, nach Leas Schätzung gerade einmal 30, überflog die Akte, welche vor ihm auf dem Schreibtisch lag, und blickte gelangweilt auf. Er schien es nicht eilig zu haben, zumindest nicht nach außen hin. Um seine Entspanntheit, die lediglich Fassade war, zu dokumentieren, summte er leise vor sich hin und ließ die Ellbogen auf seinem Schreibtisch ruhen. Das vorspringende Kinn auf die Daumenkuppen gestützt, waren seine graublauen Augen auf die gepolsterte Doppeltür geheftet, welche das Verhörzimmer mit der Außenwelt verband. Lea wusste, was ihr dieser Blick klarmachen sollte, nämlich dass es kein Entkommen gab und dass sie ihrem Gegenüber, aus dessen Blick der versierte Menschenschinder sprach, auf Gedeih und Verderb ausgeliefert war. Die drei Sterne auf seiner Uniformjacke, die auf einem Bügel neben dem Fenster hing, wiesen ihn als Oberleutnant in Diensten des Ministeriums für Staatssicherheit aus, als einen Mann, der, so stand zu befürchten, reichlich Erfahrung im Umgang mit Leuten wie ihr besaß.
Dies sollte sich prompt bestätigen. »Hinsetzen, Hände auf die Oberschenkel und Augen geradeaus!«, fuhr sie der Oberleutnant jäh an und deutete auf den Schemel neben der Tür. »Hinsetzen, oder brauchen Sie eine Extraeinladung?«
Lea wollte aufbegehren, besann sich jedoch eines Besseren und fügte sich.
»Na also, warum nicht gleich.« Von der Wirkung, die er erzeugt hatte, sichtlich angetan, fuhr
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