Kennedy-Syndrom - Klausner, U: Kennedy-Syndrom
der Verhöroffizier durch sein angefeuchtetes, sorgsam gescheiteltes braunes Haar und ließ den Blick auf der Kladde ruhen, welche vor ihm auf dem Schreibtisch lag. »Sie werden verstehen, Frau …«
»Sydow, Lea Sydow.«
» Von Sydow, es sei denn, die Kollegen von der Zivilfahndung hätten mich falsch informiert.«
»Sie haben recht. Wir legen jedoch keinen Wert darauf, mit ›von‹ angesprochen zu werden.«
»Wir?«
»Mein Mann und ich.«
»Ein alter Bekannter von uns. Zu ihm kommen wir später, keine Bange.« Ein süffisantes Lächeln auf den Lippen, neigte der Stasi-Beamte den Kopf zur Seite und ließ den Blick durch das nur wenige Quadratmeter große, spartanisch möblierte Zimmer gleiten, in dem sich außer dem Hocker, auf dem Lea saß, nur ein Schrank, ein Beistelltisch und eine reparaturbedürftige Kommode befanden. Alles andere als reparaturbedürftig und auf dem neuesten Stand der Technik war dagegen die Abhöranlage, welche sich im angrenzenden Zimmer befand. Aber davon wusste Lea, die sich voll und ganz auf ihren Kontrahenten konzentrierte, natürlich nichts. »Ein Grund mehr, sich mit Ihnen zu beschäftigen. Das sehen Sie doch ein, Frau von Sydow, oder?«
»Wenn Sie mich so fragen, Herr …«
»Oberleutnant, ganz einfach Oberleutnant, wenn es keine Mühe macht.«
»Wenn Sie mich so fragen, Herr Oberleutnant – nein.«
»Wirklich nicht?« Der Verhöroffizier brach in gekünsteltes Gelächter aus. »Macht nichts, dann muss ich eben ein bisschen nachhelfen. Um es kurz zu machen, gnädige Frau: Mit dem Märchen, das sie meinen Kollegen aufgetischt haben, kommen Sie bei mir nicht durch. Nehmen wir an, Sie wären an meiner Stelle – was würden Sie dazu sagen, wenn eine Westberlinerin mitten in der Nacht aufgegriffen wird und behauptet, Sie sei – aus Spaß an der Freude! – auf die Idee verfallen, eine Spritztour durch die Hauptstadt unserer Republik zu machen. Wie gesagt – einfach so, aus purer Langeweile. Was würden Sie dazu sagen?«
»Das weiß ich nicht.«
»Aha, das wissen Sie nicht!«, höhnte der Verhöroffizier und ließ den Zeigefinger über die Knöpfe der Gegensprechanlage gleiten, gerade so, als sei sie, Lea Sydow, im Grunde Nebensache für ihn. »Sie erwarten doch nicht, dass ich das glaube, oder?«
»Nein, Herr Oberleutnant«, lautete die Antwort, so entschieden, dass der Offizier überrascht aufblickte. »Was ich dagegen erwarte, ist, wie ein anständiger Mensch und nicht wie eine Verbrecherin behandelt zu werden.«
»Anständig?«, erboste sich der Oberleutnant und hieb mit der flachen Hand auf den Tisch. »Habe ich da eben richtig gehört? Eine ausländische Spionin, Saboteurin und Agentin, höchstwahrscheinlich in Diensten der CIA, besitzt die Frechheit, mir Vorschriften zu machen. Ich will Ihnen mal was sagen, Frau Oberlehrerin. Wenn Sie den Mund weiter so voll nehmen, werden Sie ihr blaues Wunder erleben. Ich muss Sie warnen, und das zum allerletzten Mal. Sollten Sie nicht kooperieren, werde ich zu anderen Mitteln greifen. Und was heißt hier überhaupt ›Verbrecherin‹! Wenn Sie keine sind, wer dann? Lässt sich hier einschleusen, schnüffelt herum, spioniert die Hauptstadt unseres sozialistischen Vaterlandes aus und tut so, als sei nichts geschehen. Das muss man sich mal vorstellen. Da gehört allerhand Dreistigkeit dazu. Beziehungsweise jede Menge kriminelle Energie.«
»Das glauben Sie doch wohl selbst nicht, Herr Oberleutnant.«
»So, meinen Sie«, erwiderte ihr Gegenüber, von einem Moment auf den anderen wieder beherrscht und so ruhig, dass es den Anschein hatte, als habe es seinen Wutausbruch nicht gegeben. »Tja, wenn das so ist, führt an einem verschärften Verhör kein Weg vorbei.«
Verschärftes Verhör. So nannte man das also. Lea biss auf die Oberlippe und schwieg.
»Damit haben Sie nicht gerechnet, was? Das macht Ihnen Angst, man sieht es Ihnen an. Vorschlag. Nennen Sie mir die Namen Ihrer Hintermänner, und ich setzte mich dafür ein, dass die Haftstrafe, welche Ihnen droht, nicht allzu hoch ausfallen wird.«
»Gefängnis – ich?«
»Ja, was haben Sie denn gedacht? Doch nicht etwa, dass wir Sie wieder laufen lassen würden? Da kennen Sie mich aber schlecht. Höchste Zeit, dass Sie kooperieren, gute Frau. Sonst werden Sie den Rest Ihres Lebens hinter Gittern verbringen. Also, was ist – sind Sie bereit, auf mein Angebot eingehen oder nicht?«
»Danke für Ihre großzügige Offerte, Herr Oberleutnant, ich weiß es wirklich zu schätzen. Was
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