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Kennedys Hirn

Kennedys Hirn

Titel: Kennedys Hirn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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wollte mit mir reden. Hinter den glänzenden Augen verbarg sich etwas anderes.
    Plötzlich wußte sie, was er zu sagen versucht hatte.
    Injektionen. Das war das Wort, das er zu flüstern versucht hatte. Injektionen. Aber Injektionen gab man Kranken doch, um ihnen zu helfen, als Teil der Behandlung?
    Er hatte Angst. Er wollte mir von Injektionen erzählen, die ihm angst machten.
    Der Mann hatte Hilfe gesucht. Sein Flüstern war ein Notruf gewesen.
    Sie trat ans Fenster und sah aufs Meer hinaus. Der Streifen Mondlicht war verschwunden. Der Sandplatz vor dem Hotel wurde von einer einsamen Lampe an einem Laternenmast erleuchtet.
    Sie versuchte, in den Schatten zu schauen. Das hatte Henrik getan. Was hatte er entdeckt?
    Vielleicht einen flüsternden Menschen im Wartesaal des Todes.
    18
    D er Tag danach, wieder früher Morgen.
    Louise hüllte sich in das Tuch und ging hinunter zum Strand. Einige der kleinen Fischerboote brachten ihren Fang an Land. Frauen und Kinder halfen bei der Bergung der Fische, legten sie in eisgefüllte Plastikeimer, die sie anschließend auf den Kopf setzten. Ein Junge zeigte ihr mit breitem Lächeln einen großen Hummer. Sie lächelte zurück.
    Sie watete ins Wasser. Der Stoff klebte an ihrem Körper, sie machte ein paar Schwimmzüge und tauchte. Als sie wieder hochkam, faßte sie einen Entschluß. Sie würde zurückkehren zu dem Mann auf der Pritsche, der ihr etwas zugeflüstert hatte. Sie würde nicht davon ablassen, bevor sie wußte, was er ihr hatte sagen wollen.
    Unter der tröpfelnden Dusche wusch sie sich das Salz vom Körper. Der Albino spielte auf seinem Xylophon. Sie hörte die Klänge durchs Badezimmerfenster. Er schien ständig dazusein mit seinem Instrument. Sie hatte gesehen, daß er von der starken Sonne Verbrennungen auf der Kopfhaut und auf den Wangen hatte.
    Sie ging in den Speisesaal hinunter. Der Kellner lächelte und servierte ihr Kaffee.
    Sie nickte zu dem Mann mit dem Instrument hinüber. »Ist er immer hier?«
    »Er spielt so gern. Er geht spät nach Hause und kommt früh wieder. Seine Frau weckt ihn.«
    »Er hat also eine Familie?«
    Der Kellner sah sie erstaunt an. »Warum sollte er keine haben? Er hat neun Kinder und mehr Enkelkinder, als er auseinanderhalten kann.«
    Ich nicht. Ich habe keine Familie. Nach Henrik kommt nichts.
    Sie fühlte eine ohnmächtige Wut darüber, daß es Henrik nicht mehr gab.
    Sie verließ den Frühstückstisch, die trostlose Eintönigkeit der Musik hämmerte in ihrem Kopf.
    Sie ließ den Wagen an und fuhr zu Christian Holloways Dorf. Die Hitze war noch stärker als am Tag zuvor, sie pochte in ihrem Kopf, ersetzte die eintönige Musik.
    Als sie anhielt, war es, als wiederholte sich alles im Hitzedunst. Die Luft flimmerte vor ihren Augen. Der schwarze Hund hechelte unter seinem Baum, kein Mensch war zu sehen. Eine Plastiktüte trieb auf dem Sand hin und her. Louise saß hinter dem Lenkrad und fächelte sich mit der Hand Luft zu. Ihre Wut war vergangen, ersetzt durch Resignation.
    In der Nacht hatte sie von Aron geträumt. Es war ein quälender Alptraum gewesen. Sie war irgendwo in der Argolis mit einem ihrer Gräber beschäftigt gewesen. Sie hatten ein Skelett freigelegt, und plötzlich hatte sie gesehen, daß es Axons Knochen waren. Verzweifelt hatte sie versucht, den Traum abzuschütteln, aber er hatte sie nicht losgelassen, sondern sie in die Tiefe gezogen. Erst kurz vor dem Ersticken war sie aufgewacht.
    Ein weißer Mann in heller Kleidung kam aus einer Tür und ging in ein anderes Haus. Louise fächelte weiter, während sie ihm mit dem Blick folgte. Dann stieg sie aus und ging zu dem Haus, in dem sie am Vortag gewesen war. Der schwarze Hund sah ihr nach.
    Sie trat ins Dunkel ein, wartete reglos, bis ihre Augen sich an das schwache Licht gewöhnt hatten. Der Geruch war stärker als am Tag zuvor, sie atmete durch den Mund, um ihren Brechreiz zu unterdrücken.
    Die Pritsche war leer. Der Mann war fort. Hatte sie sich geirrt? Neben ihm hatte eine Frau unter einem Batiktuch mit einem Flamingomuster gelegen. Sie war noch da. Louise hatte sich nicht geirrt. Sie bewegte sich durch den Raum, setzte ihre Schritte mit Bedacht, um nicht auf einen der mageren Körper zu treten. Der Mann war nirgendwo. Sie kehrte zu der leeren Pritsche zurück. War er verlegt worden? Konnte er tot sein? Etwas in ihr sträubte sich. Der Tod konnte bei Aidskranken rasch eintreten, aber es stimmte dennoch nicht.
    Als sie den Raum schon verlassen wollte, hatte sie das

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