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Kennedys Hirn

Kennedys Hirn

Titel: Kennedys Hirn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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Gefühl, beobachtet zu werden. Die Körper lagen wie eine gewellte Erdschicht, in der Arme und Beine sich langsam bewegten. Viele hatten die Köpfe mit Tuchfetzen und Laken bedeckt, als wollten sie ihr Elend für sich behalten. Louise sah sich um. Jemand beobachtete sie. In einer Ecke des Raums entdeckte sie einen Mann, der gegen die steinerne Wand gelehnt saß. Er sah sie an. Vorsichtig trat sie näher. Es war ein junger Mann, in Henriks Alter. Sein Körper war ausgemergelt, das Gesicht von Wunden bedeckt, Teile des Kopfes ohne Haare. Seine Augen betrachteten sie, ohne zu blinzeln.
    Er bedeutete ihr mit einer schwachen Handbewegung, näher zu kommen. »Moises ist fort.«
    Sein Englisch hatte einen südafrikanischen Akzent, soviel verstand sie, nachdem sie ihre weißen Mitpassagiere im Bus vom Flugplatz zum Hotel gehört hatte.
    Sie ging auf die Knie, um seine schwache Stimme zu verstehen. »Wo ist er?« fragte sie.
    »In der Erde.«
    »Ist er tot?«
    Der Mann griff nach ihrem Handgelenk. Es fühlte sich an wie die Berührung eines kleinen Mädchens. Die Finger waren dünn und kraftlos.
    »Sie haben ihn geholt.«
    »Was meinen Sie?«
    Sein Gesicht kam dicht an sie heran.
    »Du warst es, die ihn getötet hat. Er versuchte, nach dir zu rufen.« »Ich habe nicht verstanden, was er sagte.«
    »Sie gaben ihm eine Spritze und brachten ihn fort. Er schlief, als sie kamen.«
    »Was ist geschehen?«
    »Ich kann hier drinnen nicht sprechen. Sie sehen uns. Sie holen mich genauso. Wo sind Sie?«
    »Ich wohne am Strand, im Hotel.«
    »Wenn ich es schaffe, komme ich dorthin. Gehen Sie jetzt.«
    Er legte sich hin und rollte sich unter einem Laken zusammen. Die gleiche Angst. Er versteckt sich. Sie ging zurück durch den Raum. Als sie in die Sonne hinaustrat, war es, als träfe sie ein Schlag ins Gesicht. Sie floh in den Schatten neben der Hauswand.
    Einmal hatte Henrik mit ihr darüber gesprochen, wie er warme Länder erlebte. Die Menschen teilten nicht nur brüderlich und schwesterlich das Wasser, sondern auch den Schatten.
    Hatte sie den Mann im Dunkeln richtig verstanden? Konnte  er wirklich zu ihr kommen?  Wie würde er zum Strand gelangen ?
    Sie war im Begriff umzukehren, als sie entdeckte, daß jemand im Schatten des Baums stand, unter dem sie den Wagen geparkt hatte. Ein Mann von etwa sechzig Jahren, vielleicht älter. Er lächelte, als sie sich näherte. Er trat auf sie zu und streckte die Hand aus.
    Sie wußte sofort, wer er war. Sein Englisch war weich. Der amerikanische Akzent war kaum wahrzunehmen.
    »Mein Name ist Christian Holloway. Ich habe gehört, daß Sie Henrik Cantors Mutter sind und daß er auf tragische Weise umgekommen ist.«
    Louise war verwirrt. Wer hatte ihm das erzählt?
    Er bemerkte ihre Verwunderung. »Neuigkeiten, vor allem tragische, verbreiten sich sehr schnell. Was ist geschehen?«
    »Er wurde ermordet.«
    »Ist das wirklich möglich? Wer kann einem jungen Mann Böses wollen, der von einer besseren Welt träumt?«
    »Das versuche ich herauszufinden.«
    Christian Holloway rührte leicht an ihren Arm. »Lassen Sie uns in mein Zimmer gehen. Da ist es bedeutend kühler als hier.«
    Sie gingen über den Sandplatz zu einem weißen Haus, ein wenig abseits von den übrigen. Der schwarze Hund beobachtete wachsam ihre Schritte.
    »Als Kind verbrachte ich meine Winterferien bei einem Onkel in Alaska. Mein vorausschauender Vater schickte mich dorthin, um mich abzuhärten. Meine Jugend war ein ununterbrochener Abhärtungsprozeß. Lernen und Wissen wurden nicht als wertvoller erachtet, als sich eine Eisenhaut' zuzulegen, wie mein Vater es nannte. Es war ungeheuer kalt dort oben, wo mein Onkel nach Öl bohrte. Aber daß ich mich an starke Kälte gewöhnte, hat mich besser dafür gerüstet, auch starke Hitze auszuhalten.«
    Sie betraten ein Haus, das aus einem einzigen großen Raum bestand. Es glich einer afrikanischen Rundhütte, wie sie für Häuptlinge gebaut werden. Christian Holloway streifte an der Tür die Schuhe von den Füßen, als beträte er einen heiligen Ort. Aber als Louise sich bückte, um ihre Schuhe aufzuschnüren, schüttelte er den Kopf. Sie sah sich um, nahm den Raum in sich auf, als besuchte sie eine eben erst freigelegte Grabkammer, in der die Wirklichkeit Tausende von Jahren unberührt geblieben war.
    Der Raum war vollgestellt mit Möbeln in einem klassischen Kolonialstil. In einer Ecke stand ein Arbeitstisch mit zwei Computerbildschirmen. Auf dem Steinfußboden lag ein antiker Teppich,

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