Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kennedys Hirn

Kennedys Hirn

Titel: Kennedys Hirn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
Vom Netzwerk:
Strandhotel einen anderen Fahrer suchen? Sie faßte ihren Entschluß. Sie bogen nach rechts zum Strand ab und hielten vor dem Hotel. Als sie aus dem Taxi stieg, hörte sie als erstes die wehmütigen und eintönigen Klänge des Albinos und seiner timbila. Sie bezahlte Gilberto, reichte ihm die Hand und trug ihren Koffer ins Hotel. Wie gewöhnlich schien es zahlreiche freie Zimmer zu geben. Hinter dem Rezeptionspult hingen die Schlüssel in Reih und Glied, keiner fehlte. Der Mann an der Rezeption erkannte sie nicht wieder, oder er ließ sich nichts anmerken. Er fragte nach ihrem Paß oder einer Kreditkarte. Sie fühlte sich unsichtbar und vertraut zugleich.
    Der Mann an der Rezeption sprach ausgezeichnet Englisch. Natürlich könne er ein Taxi besorgen. Aber am besten wäre es, wenn er mit einem seiner Brüder spreche, der ein tadelloses Auto habe. Louise bat darum, daß er so schnell wie möglich käme. Sie ging in ihr Zimmer hinauf, trat ans Fenster und sah hinüber zu dem eingestürzten Strandpavillon. Dort war Umbi die Kehle durchschnitten worden, nachdem er mit ihr gesprochen hatte. Bei dem Gedanken mußte sie sich beinah übergeben. Die Angst bekam Klauen. Sie wusch sich im Badezimmer unter dem tröpfelnden Wasserhahn und ging dann nach unten, zwang sich, etwas zu essen, gegrillten Fisch und Salat, stocherte aber nur lustlos darin herum. Die timbila klang immer verlorener, der Fisch war voller Gräten. Lange saß sie mit dem Handy in der Hand und überlegte, ob sie Artur anrufen sollte. Doch sie tat es nicht. Jetzt galt es nur, auf den Notruf zu antworten, den Lucinda ausgesandt hatte. Wenn es denn ein Notruf war. Vielleicht war es statt dessen ein Schlachtruf, dachte Louise.
    Der Albino an der timbila machte eine Pause. Sie konnte jetzt das Meer hören, rauschend, wild. Die Wellen kamen von Indien her angerollt, von der fernen Küste bei Goa. Die Hitze war hier am Meer nicht ganz so drückend wie in Maputo. Sie bezahlte und verließ das Restaurant. Ein Mann in kurzen Hosen und verwaschenem Hemd mit dem Motiv der amerikanischen Flagge wartete neben einem rostigen Lastwagen. Er grüßte freundlich, sagte, er heiße Roberto, werde aber - aus einem für Louise total unverständlichen Grund - Warren genannt. Sie kletterte auf den Beifahrersitz und erklärte, wohin sie gefahren werden wolle. Warren sprach Englisch, er hatte den gleichen südafrikanischen Akzent wie sein Bruder an der Rezeption.
    »Zu Christian Holloways Dorf«, sagte er. »Das ist ein guter Mann. Er tut viel für die Kranken. Bald sind alle krank und sterben«, fügte er heiter hinzu. »Uns Afrikaner wird es in einigen Jahren nicht mehr geben. Nur Knochen im Sand und leere Felder. Wer soll die kassava essen, wenn wir fort sind?«
    Louise wunderte sich über die eigentümliche Heiterkeit, mit der er von dem qualvollen Sterben sprach, das rundumher wütete. War er selbst krank? Oder war es nur der versteckte Ausdruck seiner eigenen Angst?
    Sie gelangten zum Dorf. Der schwarze Hund, der im Schatten des Baums gelegen hatte, war fort. Warren fragte, ob er warten oder zurückkommen solle, um sie abzuholen. Er zeigte ihr sein Handy und gab ihr die Nummer. Sie rief ihn zur Probe an, beim zweiten Versuch kam die Verbindung zustande. Er wollte noch kein Geld von ihr haben, das könne warten, nichts eile, wenn es so heiß sei wie heute. Sie stieg aus. Warren wendete seinen Lastwagen und fuhr davon. Sie trat in den Schatten des Baums, unter dem der Hund immer gelegen hatte. Die Hitze stand vollkommen still um sie und die weißen Häuser, kein Laut war zu hören. Es war fünf Uhr. Ein Vogel mit wild schlagenden Flügeln flog dicht über dem Boden vorbei und verschwand in Richtung des Meeres. War es ein Notsignal oder ein Schlachtruf? Vielleicht hatte Lucinda beide Signale zugleich ausgesendet? Louise blickte auf die Reihe der Häuser, die einen Halbkreis bildeten.
    Lucinda weiß, daß sie mich lenken muß. In welchem Haus ist sie? Natürlich da, wo wir bei unserem Besuch zusammen waren.
    Sie ging über den Sandplatz und hatte das Gefühl, eine verlassene Bühne zu überqueren, wo Menschen sie betrachteten, die sie selbst nicht sehen konnte. Sie öffnete die Tür und trat ins Dunkel. Der Geruch ungewaschener, schwitzender Körper schlug ihr entgegen. Nichts war verändert seit ihrem letzten Besuch. Überall lagen Kranke. Kaum einer bewegte sich.
    Der Strand des Todes. Hier sind diese Menschen an Land getrieben, in der Hoffnung, Hilfe zu bekommen. Aber hier gibt es

Weitere Kostenlose Bücher