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Kennedys Hirn

Kennedys Hirn

Titel: Kennedys Hirn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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nach Nazrins Arm.
    »Du mußt etwas wissen. Ich war in Griechenland. Du warst hier. Ist etwas passiert? Hat er sich verändert?«
    »Er war froh, in der letzten Zeit viel froher als sonst. Ich habe ihn nie so gut gelaunt gesehen.«
    »Was war passiert?«
    »Ich weiß nicht.«
    Louise glaubte, daß Nazrin die Wahrheit sagte. Es war, wie in wechselnden Sedimenten zu graben, dachte sie. Auch einem erfahrenen Ausgräber kann es passieren, daß es einige Zeit dauert, bis er erkennt, daß er eine neue Erdschicht erreicht hat. Man kann sich durch die von einem Erdbeben zurückgelassenen Trümmer und Erdverwerfungen hindurchgraben und es erst hinterher merken.
    »Wann hast du seine Freude bemerkt?«
    Die Antwort überraschte sie.
    »Als er von einer Reise zurückkehrte.«
    »Einer Reise wohin?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Sagte er nicht, wohin er fuhr?«
    »Nicht immer. Bei dieser Gelegenheit hat er nichts gesagt. Ich habe ihn am Flughafen abgeholt. Er kam aus Frankfurt. Aber er war von weither gekommen. Woher, weiß ich nicht.«
    Ein Schmerz durchfuhr sie, wie ein kräftiges Ziehen in einem Zahn. Henrik war wie sie in Frankfurt zwischengelandet. Sie war aus Athen gekommen. Von wo war sein Flugzeug aus den Wolken herabgetaucht ?
    »Etwas muß er doch gesagt haben. Du mußt etwas gemerkt haben. War er braungebrannt? Hat er Geschenke mitgebracht?«
    »Er hat nichts gesagt. Braungebrannt war er fast immer. Er war viel froher als bei der Abreise. Geschenke hat er mir nie mitgebracht.«
    »Wie lange war er fort?«
    »Drei Wochen.«
    »Und er hat nicht gesagt, wo er war?«
    »Nein.«
    »Und wann war diese Reise?«
    »Vor ungefähr zwei Monaten.«
    »Hat er erklärt, warum er nichts erzählte?«
    »Er hat von seinem kleinen Geheimnis gesprochen.« »Hat er es so gesagt?«
    »Genau so.«
    »Und er hat dir nichts mitgebracht?«
    »Wie ich schon gesagt habe. Ich bekam nie Geschenke, die er gekauft hatte. Aber er hat Gedichte geschrieben.«
    »Wovon handelten sie?«
    »Von Dunkelheit.«
    Louise sah sie fragend an. »Hat er dir Gedichte gegeben, die er auf der Reise geschrieben hatte und die von Dunkelheit handelten?«
    »Es waren sieben Gedichte, eins von jedem dritten Tag der Reise. Sie handelten von seltsamen Menschen, die in einem konstanten Dunkel lebten. Menschen, die es aufgegeben hatten, nach Ausgängen zu suchen.«
    »Das hört sich sehr düster an.«
    »Sie waren schrecklich.«
    »Hast du sie noch?«
    »Er wollte, daß ich sie verbrenne, nachdem ich sie gelesen hatte.«
    »Warum?«
    »Das habe ich mich auch gefragt. Er sagte, sie würden nicht mehr gebraucht.«
    »War das üblich, daß er dich bat, Dinge zu verbrennen, die er geschrieben hatte?«
    »Nein. Nur dies eine Mal.«
    »Hat er jemals mit dir über ein verschwundenes Hirn gesprochen?«
    Nazrin betrachtete sie verständnislos.
    »John F. Kennedy wurde 1963 in Dallas ermordet. Nach der pathologischen Untersuchung verschwand sein Gehirn.«
    Nazrin schüttelte den Kopf.
    »Ich weiß nicht mal, wovon Sie reden. Ich war 1963 noch gar nicht geboren.«
    »Aber du hast doch wohl einmal von Präsident Kennedy gehört?«
    »Vielleicht.«
    »Hat Henrik nie von ihm gesprochen?« »Warum hätte er das tun sollen?«
    »Ich frage mich. Ich habe eine Menge Papiere gefunden, die von ihm handeln. Und von seinem verschwundenen Hirn.« »Warum hätte er sich dafür interessieren sollen?« »Ich weiß es nicht. Aber ich glaube, daß es wichtig ist.«
    Die Briefeinwurfklappe schepperte. Beide fuhren zusammen. Nazrin ging in den Flur und kam mit Sonderangeboten von Kassler und Computern zurück.
    Sie legte sie auf den Tisch, setzte sich aber nicht mehr. »Ich kann nicht mehr bleiben. Mir ist, als müßte ich ersticken.« Sie brach in heftiges Weinen aus.
    Louise stand auf und nahm sie in den Arm. »Was war es, das aufhörte?« fragte sie, als Nazrin sich wieder beruhigt hatte. »Als die Liebe in Freundschaft überging?«
    »Es war nur für ihn so. Ich liebte ihn immer noch. Ich hoffte, daß alles wieder werden würde wie früher.« »Woher kam seine Freude? Von einer anderen Frau?« Nazrin antwortete schnell. Louise verstand, daß sie sich die Frage selbst gestellt hatte. »Es war keine andere Frau.«
    »Hilf mir zu verstehen. Du hast ihn anders gesehen als ich. Für mich war er ein Sohn. Seine Kinder sieht man nie ganz deutlich. Es ist immer eine Erwartung oder eine Besorgnis mit im Spiel, die das Bild verzerrt.«
    Nazrin setzte sich wieder. Louise sah, wie ihr Blick an der Wand hin und her

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