Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kennedys Hirn

Kennedys Hirn

Titel: Kennedys Hirn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
Vom Netzwerk:
dagesessen, als wir zusammenlebten. Er im einen Zimmer, ich im anderen, aber immer war die Tür zwischen uns offen. Eines Tages schloß er sie. Als ich sie wieder aufmachte, war er fort.
    Aron kam in die Küche und trank Wasser. Er sah müde aus. Sie fragte ihn, ob er etwas gefunden habe, aber er schüttelte den Kopf. »Noch nicht.«
    »Was hat er wohl für diese Wohnung bezahlt? Sie kann nicht billig gewesen sein.«
    »Wir müssen Bianca fragen. Was ist in seinen Ordnern?«
    »Er hat umfassendes Material über Krankheiten gesammelt. Malaria, Pest, Aids. Aber nichts über dich, nichts über mich. Er markiert gewisse Passagen oder Sätze, ja sogar einzelne Wörter, rot oder mit Ausrufezeichen.«
    »Dann mußt du in den markierten Stellen suchen, oder nein, besser noch in dem, was er nicht markiert hat.«
    Aron wandte sich wieder dem Computer zu. Louise öffnete den kleinen Kühlschrank. Er war fast leer.
    Es war bereits nach Mitternacht. Louise saß am Küchentisch und blätterte langsam eine der letzten Mappen durch. Wieder Zeitungsausschnitte, vor allem aus englischen und amerikanischen Zeitungen, aber auch eine Artikelserie aus Le Monde.
    Kennedys Hirn. Irgendwo gibt es einen Zusammenhang zwischen deiner Besessenheit für das Hirn des toten Präsidenten und dem, was ich jetzt vor mir habe. Ich versuche, es mit deinen Augen zu sehen, die Mappen mit deinen Händen zu berühren. Was hast du gesucht? Was hat dich getötet?
    Sie zuckte zusammen. Ohne daß sie es wahrgenommen hatte, war Aron in die Küche gekommen. Sie wußte sofort, daß er etwas gefunden hatte.
    »Was ist es?«
    Er setzte sich ihr gegenüber. Sie sah, daß er verwirrt war, vielleicht war es Furcht. Das machte ihr mehr angst als etwas anderes. Einer der Gründe, warum sie ihm einst vertraut hatte, war die Überzeugung gewesen, daß er sie jederzeit gegen alle drohenden Gefahren beschützen würde.
    »Ich habe eine geheime Datei gefunden, die in einer anderen versteckt war. Wie russische Puppen, die ineinanderstek-ken.«
    Er verstummte. Louise wartete auf die Fortsetzung. Aber Aron blieb stumm. Schließlich ging sie ins Zimmer, setzte sich selbst an den Computer und las. Es waren nur wenige Worte. Später wußte sie nicht zu sagen, was sie eigentlich erwartet hatte. Alles, aber nicht das.
    »Also trage auch ich den Tod in mir. Das macht alles unerträglich. Vielleicht sterbe ich, noch bevor ich dreißig werde. Jetzt muß ich stark sein und dies ins Gegenteil verkehren. Das Unerträgliche, was passiert ist, muß zu einer Waffe werden. Nichts darf mich mehr schrecken. Nicht einmal, daß ich HIVpositiv bin.«
    Louise fühlte ihr Herz hämmern. In ihrer Verwirrung dachte sie, sie müsse Artur anrufen und es ihm erzählen. Gleichzeitig fragte sie sich, was Nazrin wußte. War sie auch angesteckt? Hatte er sie angesteckt? Hatte er deshalb nicht weiterleben können?
    Die Fragen schwirrten ihr durch den Kopf. Sie mußte sich mit den Armen an der Tischplatte abstützen, um nicht zu fallen. Wie von fern hörte sie, daß Aron in der Küche aufstand und ins Zimmer trat. Als sie fiel, fingen seine Arme sie auf.
    V iele Stunden später schlossen sie die Wohnungstür und gingen hinaus, um frische Luft zu schöpfen und zu frühstücken. Bianca schlief, oder zumindest gab sie kein Lebenszeichen von sich, als sie das Haus verließen.
    Der frühe Morgen überraschte sie mit seiner milden Luft.
    »Wenn du schlafen möchtest, geh ruhig ins Hotel. Ich brauche Luft. Aber ich kann allein gehen.«
    »Um diese Zeit in Barcelona? Da wirst du ein leuchtender Magnet. Eine Frau allein auf einer Straße in Barcelona, wer ist das?«
    »Ich bin es gewohnt, mir allein zu helfen. Ich habe gelernt, wie man aufdringliche Männer mit dem Schwanz in der einen Hand und der Brieftasche in der anderen abschüttelt. Auch wenn sie die Brieftasche nicht zeigen.«
    Aron konnte sein Erstaunen nicht verbergen. »So habe ich dich noch nie reden hören.«
    »Es gibt vieles, was du von mir nicht weißt. Auch nicht, wie ich meine Worte wähle.«
    »Wenn du allein sein willst, stell dir vor, ich sei ein zweiter Schatten. Wie eine Jacke, die man über den Arm hängt, wenn man nicht sicher ist, ob es regnen wird oder nicht.«
    Sie gingen eine der Hauptstraßen hinunter, die zu einem Platz hin abfiel. Es war wenig Verkehr, die Restaurants waren leer. Ein Polizeiwagen glitt langsam vorbei.
    Louise war sehr müde. Aron ging stumm an ihrer Seite und verbarg wie immer, was er dachte oder fühlte. Ihre Gedanken

Weitere Kostenlose Bücher