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Kennedys Hirn

Kennedys Hirn

Titel: Kennedys Hirn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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gewesen. Sicher weiß ich nur, daß die Unsicherheit und der Zweifel meine ständigen Begleiter waren.«
    Aron kontrollierte den Stromanschluß des Computers und klappte den Deckel auf. Er bewegte die Fingerspitzen gegeneinander, als trüge er Gummihandschuhe und würde gleich beginnen zu operieren.
    Er sah sie an. »Es gibt einen Brief von Henrik, den ich dir nicht gezeigt habe. Es war, als hätte er mir ein Vertrauen entgegengebracht, das ich nicht mit anderen teilen sollte. Vielleicht war es gar nicht so. Aber was er erzählte, war so groß, daß ich es mit niemand teilen wollte, nicht einmal mit dir.«
    »Du hast nie etwas mit mir teilen wollen.«
    Er wurde ärgerlich. »Ich erzähle es dir.«
    Es war einer der letzten Briefe, die gekommen waren, bevor Aron von den Einsen und Nullen aufgebrochen war, fest entschlossen, die Archive hinter sich zu lassen. Er war gerade in New York gewesen und hatte den großen Scheck entgegengenommen, den Freibrief für den Rest seines Lebens, und war nach Neufundland zurückgekehrt, um seine Sachen zusammenzupacken. Das meiste verbrannte er - für ihn war es ebenso entscheidend, ein altes Sofa oder ein Bett zu verbrennen, wie eine Brücke hinter sich abzubrechen -, da hatte er den Brief von Henrik bekommen. Er war in Paris abgestempelt. Einer von Henriks Freunden, ein junger Cellist aus Bosnien - es ging nicht aus dem Brief hervor, wie sie Freunde geworden waren -, hatte einen Wettbewerb für junge Solisten gewonnen und sollte mit einem der größten Orchester von Paris zusammen spielen. Henrik hatte die Gelegenheit gehabt, bei einer der ersten Proben mitten im Orchester zu sitzen, hinter den Streichern und vor den Bläsern. Es war ein aufwühlendes Erlebnis gewesen, der starke Klang durchbohrte ihn wie ein großer Schmerz. Aber Henrik hatte den Augenblick beschrieben als eine Erfahrung, zu der er jederzeit zurückkehren konnte, um die unvergleichliche Kraft zu schöpfen, die vom Schmerz ausgeht. Er hatte das Erlebnis nachher nie mehr erwähnt.
    »Wir hatten einen Sohn, der einmal mitten in einem Orchester saß und etwas über Schmerz gelernt hat. Er war ein außergewöhnlicher Mensch.«
    »Mach den Computer an«, sagte sie. »Such weiter.«
    Sie nahm einige der Aktenordner aus dem Regal und ging damit in die Küche. Es pochte hinter ihren Schläfen, als hätte sie den Schmerz übernommen, von dem Henrik in seinem Brief erzählt hatte. Warum hatte er ihr nichts davon gesagt? Warum hatte er sich dafür entschieden, Aron von dem Orchester zu erzählen, seinem Vater, der sich nie um ihn gekümmert hatte ?
    Sie blickte auf die dunklen Hausdächer hinaus. Der Gedanke empörte sie. Mitten in der Trauer verursachte Henrik ihr einen anderen Schmerz, für den sie sich schämte.
    Sie schob den Gedanken von sich.
    Etwas anderes war wichtiger. Alles andere war wichtiger. Bianca sagte nicht die Wahrheit. Ich habe eine weitere Scherbe gefunden, die ich jetzt mit anderen Scherben zusammenfügen muß, damit ein Zusammenhang entsteht. Ich weiß nicht, ob ihre Lüge der Anfang einer Geschichte ist oder das Ende. Hat sie gelogen, weil Henrik sie darum gebeten hat? Oder gibt es jemand anderen, der es von ihr verlangt?
    Sie blätterte in den Aktenordnern. Jede Seite ein neues Fragment, fortgerissen von einem unbekannten Ganzen.
    Henrik hat ein Doppelleben geführt. Er hatte eine Wohnung in Barcelona, die niemand kannte. Woher hatte er das Geld? Eine Wohnung in der Innenstadt von Barcelona konnte nicht billig sein. Ich werde seinen Wegen folgen, jede Seite ist wie eine neue Wegkreuzung.
    Sie sah bald, daß sie nichts über Kennedy und sein Hirn finden würde, weder Fotokopien von Archivmaterial noch Artikel oder eigene Notizen. Dagegen hatte Henrik Material über die größten Pharmaunternehmen der Welt gesammelt. Es waren vor allem kritische Artikel und Äußerungen von Organisationen wie »Ärzte ohne Grenzen« und »Forscher für die arme Welt«. Er hatte Stellen markiert und unterstrichen. Um eine Überschrift, daß kein Mensch auf der Welt heutzutage an Malaria sterben müsse, hatte er ein rotes Viereck gezogen und Ausrufezeichen an den Rand gesetzt. In einem anderen Ordner hatte er Artikel und Buchausschnitte über die Geschichte der Pest gesammelt.
    Scherbe auf Scherbe. Immer noch kein Ganzes. Wie hing dies mit Kennedy und seinem Hirn zusammen? Hing es überhaupt zusammen?
    Sie hörte, wie Aron sich im Nebenzimmer räusperte. Dann und wann tippte er etwas auf der Tastatur.
    So haben wir häufig

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