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Kennedys Hirn

Kennedys Hirn

Titel: Kennedys Hirn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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drehten sich um die Entdeckung, daß Henrik HIV-positiv gewesen war. Jetzt war er tot, für die Infektion, die in ihn eingedrungen war, nicht mehr erreichbar. Aber hatte sie trotzdem seinen Tod verursacht? War er nicht in der Lage gewesen, das Schicksal zu ertragen, dessen er sich plötzlich bewußt geworden war?
    »Wie kann es sein, daß die pathologische Untersuchung keinen Aufschluß über Henriks Blut gegeben hat?« fragte Aron plötzlich. »War es zu früh, hatte er sich erst vor so kurzer Zeit infiziert, daß sich noch keine Antikörper gebildet hatten? Aber wie konnte er dann so sicher sein, daß er HIV-positiv war?«
    Aron brach in Tränen aus. Es kam plötzlich, ohne Vorwarnung. Er weinte heftig. Louise konnte sich nicht erinnern, ihn überhaupt einmal weinend gesehen zu haben, es sei denn, daß er betrunken und sentimental geworden war und ihr seine grenzenlose Liebe beteuert hatte. Arons Tränen waren für sie immer mit dem Gestank von Alkohol oder einem Kater verbunden. Aber hier war es nichts von beidem. Hier war nur seine Trauer.
    Sie standen auf einer Straße in Barcelona. Es war im Morgengrauen, und Aron weinte. Als er sich wieder gefaßt hatte, suchten sie ein Cafe, das geöffnet hatte. Sie frühstückten und kehrten danach wieder in die Wohnung zurück.
    Nachdem sie aufgeschlossen hatten, verschwand Aron im Badezimmer. Er kam mit naß gekämmten Haaren und gewaschenen Augen zurück.
    »Ich entschuldige mich für meinen Mangel an Würde.«
    »Daß du immer solchen Unsinn reden mußt.«
    Aron antwortete nicht. Er hob nur abwehrend die Hände.
    Sie begaben sich erneut auf die Suche in Henriks Computer, Aron ging als der entschlossene Pfadfinder voran.
    »Uncas«, sagte sie. »Erinnerst du dich an ihn?«
    »Der letzte Mohikaner, James Fenimore Cooper. Als Kind habe ich ihn mit Begeisterung gelesen. Ich träumte davon, der letzte meines Stamms zu werden, des Aronstamms. Aber haben Mädchen das Buch auch gelesen?«
    »Artur hat es laut vorgelesen. Ich glaube nicht, daß er je darüber nachgedacht hat, ob es für Mädchen unpassend sein könnte. Er hat mir nur das vorgelesen, was er selbst hören wollte. Das eine oder andere Buch über Wilddiebe bekam ich wohl auch mit, als ich sieben, acht Jahre alt war. Aber an das Buch über Uncas erinnere ich mich.«
    »Woran erinnerst du dich am besten?«
    »Als eine der Töchter von Oberst Munroe vom Felsen ins Wasser springt und lieber den Tod wählt, als dem blutdürstigen Indianer in die Hände zu fallen. Das war ich, mutig bis zum Letzten. Ich wollte in meinem Leben auf Felsabhänge setzen.«
    An diesem Tag in Barcelona erzwang sich Aron in Gegenwart von Louise den Weg in Henriks Leben. Fieberhaft arbeitete er, um die verschiedenen Räume aufzubrechen, die Henrik zu schließen versucht hatte. Türen wurden aus ihren Verankerungen gerissen, andere wurden mit einem Dietrich geöffnet, aber was sie in den Räumen fanden, waren immer nur neue Fragen, selten irgendwelche Antworten. Wie lange war Henrik schon krank? Seit wann war er infiziert? Wer hatte ihn infiziert? Wußte er, wer es war? Im Juli 2004 schrieb er, daß er krank sei: »Ich habe das Virus in mir, lange habe ich es befürchtet, jetzt habe ich die Gewißheit. Mit den heutigen Blok-kern kann ich zehn jähre leben, mit den Blockern von morgen sicher länger. Dennoch ist dies ein Todesurteil. Es wird am schwersten sein, sich von dieser Vorstellung zu befreien.« Nicht ein Wort darüber, wie es passiert war, wo, bei wem, in welchem Zusammenhang. Sie versuchten zurückzugehen, blätterten seine fragmentarischen und chaotischen Tagebücher durch, fanden Hinweise auf verschiedene Reisen, doch nichts, was völlig klar war, die ganze Zeit hatten sie das Gefühl von etwas Flüchtigem, das sich ihnen entzog. Louise suchte nach alten Flugtickets, aber vergebens.
    Aron drang in ein Finanzprogramm ein, in dem Henrik mit einer gewissen Regelmäßigkeit über seine Einkünfte Buch geführt hatte. Beide reagierten gleichzeitig. Im August 1998 hatte Henrik einen hohen Betrag als Einnahme verbucht. 100 000 Dollar.
    »Über 800 000 schwedische Kronen«, sagte Aron. »Woher in Gottes Namen hatte er das Geld?«
    »Steht es nicht da?«
    »Hier steht nur seine Kontonummer bei der spanischen Bank.«
    Aron suchte weiter und kam aus dem Staunen nicht heraus. Im Dezember des gleichen Jahres tauchen aus dem Nichts 25 000 Dollar auf. Eines Tages ist das Geld auf dem Konto, Henrik führt die Summe auf, ohne den Absender zu nennen.

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