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Kennedys Hirn

Kennedys Hirn

Titel: Kennedys Hirn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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Stoß auf, bremste ab, schwenkte zu einem Terminal ein und kam zum Stillstand. Sie blieb lange sitzen, hatte keine Lust, sich mit den anderen Fluggästen zu drängeln, die ein dringendes Bedürfnis zu haben schienen, dem Käfig zu entkommen. Die afrikanische Wärme mit ihren fremden Düften verdrängte langsam die sterile Luft der Klimaanlage. Louise begann wieder zu atmen. Die Wärme und die Düfte erinnerten sie an Griechenland, auch wenn sie anders waren. Es waren nicht Thymian und Rosmarin. Andere Gewürze, vielleicht Pfeffer und Zimt, dachte sie. Rauch von Feuern.
    Sie verließ das Flugzeug, suchte den Weg in die Transithalle und zeigte an der Kontrolle ihr Flugticket vor.
    Der Mann am Schalter fragte nach ihrem Paß. Er blätterte ihn durch und sah sie an. »Sie haben kein Visum?«
    »Mir wurde gesagt, man könne auf dem Flugplatz in Maputo ein Visum kaufen.« »Manchmal geht es, manchmal nicht.« »Und was geschieht, wenn es nicht geht?« Der Mann am Schalter zuckte mit den Schultern. Sein schwarzes Gesicht glänzte vom Schweiß.
    »Dann steht es Ihnen frei, Ihre Zeit hier in Südafrika zu verbringen. Soweit ich weiß, gibt es in Mozambique keine Löwen oder Leoparden, ja nicht einmal Flußpferde zu sehen.« »Ich bin nicht hergekommen, um auf Safari zu gehen.«
    Ich schreie, dachte sie resigniert. Ich rede mit meiner müden und gereizten Stimme. Ich bin erschöpft und verschwitzt, mein Sohn ist tot. Wie soll er das verstehen können?
    »Mein Sohn ist tot«, sagte sie plötzlich. Es war eine unerwartete Erklärung, nach der niemand gefragt hatte.
    Der Mann am Schalter runzelte die Stirn. »Sie erhalten bestimmt Ihr Visum in Maputo«, sagte er, »besonders wenn Ihr Sohn tot ist. Das tut mir leid.«
    Sie ging in die große Abflughalle, wechselte Geld in südafrikanische Rand und trank Kaffee. In der Erinnerung sollten ihr die Stunden des Wartens, die sie auf dem Flugplatz verbrachte, vorkommen, als hätte sie sie in einem Vakuum verbracht. Sie konnte sich an keine Geräusche erinnern, keine Musik aus unsichtbaren Lautsprechern, keine Durchsagen für Abflüge oder Sicherheitshinweise. Nur eine große Stille und ein undeutliches Flimmern von Farben.
    Am wenigsten konnte sie sich an Menschen erinnern. Erst als ihr Flug plötzlich angesagt wurde, »South African Airways 143 to Maputo«, wurde sie in die Wirklichkeit zurückgeworfen.
    Aus reiner Ermattung schlief sie ein und fuhr hoch, als die Maschine in Maputo landete. Durchs Fenster sah sie, daß es hier grüner war. Aber immer noch blaß, verbraucht, eine Wüste, notdürftig von schütterem Gras bedeckt.
    Die Landschaft erinnerte sie an das dünne Haar auf Arons Kopf.
    Die Hitze traf sie wie ein harter Schlag, als sie aus der Maschine stieg und zum Flughafenterminal ging. Das Sonnenlicht zwang sie, die Augen zuzukneifen. Was tue ich hier, zum Teufel? dachte sie. Ich will ein Mädchen suchen, das Lucinda heißt. Aber warum ?
    Sie konnte ohne Probleme ein Visum kaufen, auch wenn sie den starken Verdacht hatte, allzuviel für den Stempel in ihrem Paß bezahlen zu müssen. Sie war schweißgebadet, setzte ihren Koffer ab und blieb stehen. Ich brauche einen Plan, dachte sie. Ich brauche ein Auto und ich brauche ein Hotel, vor allem ein Hotel.
    Neben ihr stand ein Schwarzer in Uniform. Auf einem Schild las sie Hotel Polana.
    Er sah, daß sie ihn betrachtete. »Hotel Polana?«
    »Ja.«
    »Ihr Name?«
    »Ich habe kein Zimmer bestellt.«
    Es war ihr inzwischen gelungen, sein Namensschild zu lesen. Rogerio Mandiate.
    »Glauben Sie, daß ich trotzdem ein Zimmer bekommen kann, Herr Mandiate?«
    »Ich kann nichts versprechen.«
    Zusammen mit vier weißen südafrikanischen Männern und Frauen fuhr sie in einem Bus davon. Die Stadt gärte in der Hitze. Sie fuhren durch Stadtteile, in denen große Armut herrschte. Überall Menschen, Kinder, vor allem Kinder.
    Ihr kam plötzlich der Gedanke, daß Henrik auch diesen Weg gefahren sein mußte. Er hatte das gleiche gesehen wie sie. Aber hatte er auch die gleichen Gedanken gedacht? Sie konnte es nicht wissen. Es war eine Frage, auf die sie nie eine Antwort bekommen würde.
    Die Sonne stand im Zenit über ihr, als sie das palastähnliche weiße Hotel erreichten. Sie bekam ein Zimmer mit Aussicht auf den Indischen Ozean. Sie stellte die Klimaanlage so ein, daß der Raum kühler wurde, und dachte an die bitterkalten Wintermorgen in Härjedalen. Starke Hitze und starke Kälte liefen auf das gleiche hinaus, dachte sie. In Griechenland habe

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