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Kennedys Hirn

Kennedys Hirn

Titel: Kennedys Hirn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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gegeben hat.«
    Louise drehte den Umschlag um. Hatte Bianca ihn doch geöffnet? Oder sagte sie die Wahrheit? War es überhaupt von Bedeutung? Sie öffnete den Umschlag. Er enthielt einen Brief und ein Foto. Bianca beugte sich über den Tisch, um sehen zu können. Ihre Neugier war echt.
    Es war ein Schwarzweißfoto, quadratisch, die Vergrößerung eines kleineren Fotos, vielleicht eines Paßbilds. Die Bildoberfläche war körnig, eine leichte Unschärfe lag über dem Gesicht, das Louise direkt ansah. Ein schwarzes Gesicht, eine schöne junge Frau, die lächelte. Zwischen den Lippen waren ihre weißen Zähne zu sehen, ihr kunstvoll geflochtenes Haar lag dicht am Kopf an.
    Louise drehte das Foto um. Henrik hatte einen Namen und ein Datum auf die Rückseite geschrieben.
    »Lucinda, 12. April 2003.«
    Bianca sah Louise an.
    »Ich kenne die Frau. Sie war hier zu Besuch.« »Wann?«
    Bianca überlegte.
    »Nach einem Regen.«
    »Was meinen Sie damit?«
    »Es war ein Wolkenbruch, der die ganze Innenstadt von Barcelona überschwemmte. Das Wasser lief über die Haustürschwelle. Sie kam am Tag danach. Henrik muß sie am Flugplatz abgeholt haben. Es war im Juni 2003, Anfang Juni. Sie blieb zwei Wochen.«
    »Woher kam sie?«
    »Das weiß ich nicht.«
    »Wer war sie?«
    Bianca sah sie mit eigentümlichem Gesichtsausdruck an. »Ich glaube, Henrik hat sie sehr geliebt. Er war immer reserviert, wenn ich die beiden zusammen traf.«
    »Hat Henrik nach ihrem Besuch nie etwas über sie gesagt?«
    »Nie.«
    »Wie ging es mit Ihrem Verhältnis weiter?«
    »Eines Tages kam er zu mir und fragte, ob ich mit ihm zu Abend essen wolle. Ich nahm die Einladung an. Das Essen war nicht gut. Aber ich blieb die Nacht mit ihm zusammen. Es war, als hätte er beschlossen, daß alles wieder so werden sollte wie vor dem Besuch der anderen Frau.«
    Louise nahm den Brief, der in dem Umschlag gewesen war, und begann zu lesen. Henriks Schrift. So schrieb er, wenn er es eilig hatte, wilde Schwünge mit dem Stift, zuweilen kaum lesbare Sätze in englisch. Kein Gruß an Bianca, der Brief begann unvermittelt, wie aus einem unbekannten Zusammenhang gerissen.
    »Durch Lucinda beginne ich immer klarer zu sehen, was ich zu verstehen versuche. Was sie mir darüber erzählen konnte, welchen Leiden Menschen aus reiner Habgier schamlos ausgesetzt werden, hätte ich nicht für möglich gehalten. Ich muß mich noch von der schwersten aller Illusionen befreien, an denen ich leide: daß es nicht schlimmer zugeht in der Welt, als ich glaube, wenn sie mir am finstersten erscheint. Lucinda kann mir von einem anderen Dunkel erzählen, das so hart und undurchdringlich ist wie Eisen. Da verbergen sich die Reptilien, die ihre Herzen verpfändet haben, die auf den Gräbern all jener tanzen, die umsonst gestorben sind. Lucinda wird meine Führerin sein, bleibe ich lange fort, so bin ich bei ihr. Sie wohnt in einem Schuppen aus Zement und rostigem Wellblech auf der Rückseite der Hausruine in der Avenida Samora Machel Nummer 10 in Maputo. Wenn sie nicht da ist, kann man sie in der Bar Malocura in der Feira Popular im Stadtzentrum finden. Sie bedient dort ab elf Uhr am Abend.«
    Louise reichte Bianca den Brief, die ihn langsam las, wobei sie Wort für Wort schweigend mit den Lippen formte. Dann faltete sie ihn zusammen und legte ihn auf den Tisch.
    »Was meint er damit, daß sie seine Führerin werden soll?« fragte Louise.
    Bianca schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht. Aber sie muß wichtig für ihn gewesen sein.«
    Bianca steckte den Brief und das Foto in den Umschlag und gab ihn Louise. »Es ist für Sie. Nehmen Sie es.«
    Louise stopfte den Brief in ihre Tasche. »Wie hat Henrik die Miete bezahlt?«
    »Er hat sie mir gegeben. Dreimal im Jahr. Bis zum Jahresende ist bezahlt.«
    Bianca begleitete sie hinaus. Louise blickte die Straße entlang. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite stand eine Steinbank, auf der ein Mann saß und ein Buch las. Erst als er langsam umblätterte, wandte sie den Blick ab.
    »Was geschieht jetzt?« fragte Bianca.
    »Ich weiß nicht. Aber ich lasse von mir hören.«
    Bianca streichelte ihr rasch die Wange und sagte: »Männer laufen immer weg, wenn es ihnen zuviel wird. Aron kommt bestimmt zurück.«
    Louise wandte sich hastig um und ging, um nicht in Tränen auszubrechen.
    Als sie ins Hotel kam, erwarteten sie die beiden Polizeibeamten. Sie setzten sich in eine Ecke des großen Foyers.
    Der jüngere von beiden sprach. Er las von einem Block ab, sein

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