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Kennedys Hirn

Kennedys Hirn

Titel: Kennedys Hirn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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Kraftlosigkeit. Mehr als vierundzwanzig Stunden blieb sie im Bett liegen. Am Morgen, als das Zimmermädchen die Tür aufschloß, hob sie nur abwehrend die Hand. Auf dem Nachttisch stand Wasser in Flaschen, sie aß nichts außer einem Apfel, den sie aus Madrid mitgebracht hatte.
    In der Nacht trat sie einmal ans Fenster und blickte hinunter auf den erleuchteten Garten mit dem glitzernden Swimmingpool. Dahinter lag die Meeresbucht, ein Leuchtturm durchschnitt die Dunkelheit, auf unsichtbaren Fischerbooten schaukelten Laternen. Ein einsamer Nachtwächter machte seine Runde im Garten. Etwas erinnerte sie an die Argolis, an die Ausgrabungen in Griechenland. Doch sie befand sich weit davon entfernt und fragte sich, ob sie je dorthin zurückkehren würde. Konnte sie sich ein weiteres Leben als Archäologin überhaupt vorstellen?
    Henrik ist auf die gleiche Weise tot, wie ich tot bin. Ein Mensch kann einmal im Leben in eine Ruine verwandelt werden, doch nicht zweimal. ist Aron deshalb verschwunden? Weil er Angst hatte, noch einmal in einen Hammer verwandelt zu werden, der mich zerschlug?
    Sie ging zurück ins Bett. Dann und wann nickte sie ein. Erst am Nachmittag spürte sie, wie ihre Kräfte zurückkehrten. Sie nahm ein Bad, ging hinunter und aß. Sie setzte sich ins Freie unter eine Markise. Es war warm, doch der Wind vom Meer war kühl und erfrischend. Sie studierte die Karte, die sie gekauft hatte. Sie fand das Hotel und suchte lange, bis sie das Viertel mit dem Namen Feira Popular entdeckte.
    Nach dem Essen setzte sie sich in den Schatten unter einen Baum und beobachtete ein paar Kinder, die im Schwimmbassin spielten. Sie hatte das Handy in der Hand und entschied sich endlich, Artur anzurufen.
    Seine Stimme kam aus einer anderen Welt. Es gab eine Verzögerung zwischen ihren Stimmen. Sie kollidierten, sprachen gleichzeitig.
    »Merkwürdig, daß man auf so weite Entfernung so gut hört.«
    »Australien war noch weiter entfernt.«
    »Ist alles in Ordnung?«
    Sie hätte fast erzählt, daß sie beraubt worden war, einen kurzen Moment lang wollte sie sich durch den Äther bei ihm anlehnen und weinen. Doch sie besann sich und sagte nichts.
    »Das Hotel, in dem ich wohne, ist wie ein Palast.«
    »Ich dachte, es sei ein armes Land.«
    »Nicht für alle. Der Reichtum bewirkt, daß man alle sieht, die nichts haben.«
    »Ich begreife noch immer nicht, was du dort machen willst.«
    »Was ich gesagt habe. Henriks Freundin suchen, ein Mädchen, das Lucinda heißt.«
    »Hast du etwas von Aron gehört?«
    »Weder von ihm noch über ihn. Er bleibt verschwunden. Ich glaube, er ist getötet worden.«
    »Warum sollte jemand ihn töten?«
    »Ich weiß es nicht. Aber ich versuche, es herauszufinden.«
    »Ich habe nur noch dich. Ich mache mir Sorgen, wenn du so weit weg bist.«
    »Ich bin immer vorsichtig.« »Manchmal ist das nicht genug.« »Ich rufe dich wieder an. Hat es geschneit?« »Heute nacht ist der Schnee gekommen, zuerst in einzelnen Flocken, dann immer dichter. Ich saß hier in der Küche und habe ihn kommen sehen. Es ist wie eine weiße Stille, die über die Erde fällt.«
    Eine weiße Stille, die über die Erde fällt. Zwei Männer, die mich überfallen haben. Sind sie mir vom Hotel aus gefolgt? Oder standen sie dort im Schatten, ohne daß ich sie bemerkt habe?
    Sie haßte sie, wollte sie geprügelt sehen, blutig, schreiend.
    Es war halb elf, als sie zur Rezeption hinunterging und nach einem Taxi fragte, das sie nach Feira Popular bringen könne. Der Mann am Informationstisch sah sie zuerst fragend, dann lächelnd an. »Der Portier hilft Ihnen. Es dauert nicht länger als zehn Minuten, dorthin zu gelangen.« »Ist es eine gefährliche Gegend?«
    Sie war über ihre Frage erstaunt, die sie gar nicht vorbereitet hatte. Doch in ihrer Vorstellung würden die Räuber ihr unwillkommene Besuche abstatten, wo immer sie sich befand, das wußte sie. Auch der Mann, der sie vor so vielen Jahren in London angegriffen hatte, konnte immer noch dann und wann in ihrem Bewußtsein auftauchen. »Warum sollte es gefährlich sein?« »Ich weiß nicht. Ich frage Sie.«
    »Möglicherweise gibt es dort eine Anzahl gefährlicher Frauen. Aber die sind kaum an Ihnen interessiert.«
    Prostituierte, dachte sie. Gibt es die nicht überall? Sie fuhr durch die Stadt. Im Taxi roch es nach Fisch, der Mann hinter dem Lenkrad fuhr schnell und schien den fehlenden Rückspiegel nicht zu vermissen. Im Dunkeln kam ihr die
    Reise wie ein Abstieg in die Unterwelt vor. Er

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