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Kennedys Hirn

Kennedys Hirn

Titel: Kennedys Hirn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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Geld.«
    »Bist du dir dessen sicher, was du tust?«
    »Nein, aber ich muß fahren.«
    Artur schwieg lange.
    »Hier regnet es«, sagte er schließlich. »Aber es gibt bald Schnee. Man sieht es über den Bergen, die Wolken werden immer schwerer. Bald kommt der Schnee.«
    »Ich muß tun, was ich tue. Ich muß wissen, was passiert ist«, antwortete sie.
    Als das Gespräch vorbei war, stellte sie sich unter eine vorstehende Treppe, versteckte sich zwischen verlassenen Gepäckwagen. Ihr war, als hätte jemand mit dem Vorschlaghammer in den Haufen von Scherben geschlagen, die sie so mühsam zusammengetragen hatte. Jetzt waren sie noch kleiner, es würde noch schwerer werden, sie zusammenzufügen.
    Das Muster bin ich, dachte sie. Im Moment stellen die Scherben mein Gesicht dar. Nichts anderes.
    Um kurz vor elf am Abend bestieg sie das Flugzeug nach Johannesburg. Gerade als sie den entscheidenden Schritt von der Rampe in die Maschine tun wollte, zögerte sie. Was ich tue, ist Wahnsinn. Ich bin auf dem Weg in den Nebel hinein - statt aus ihm heraus.
    Während der Nacht trank sie weiter. Neben ihr saß eine
    Schwarze, die von Bauchschmerzen geplagt zu werden schien. Sie sprachen nicht miteinander, wechselten nur vereinzelte Blicke.
    Schon auf dem Flugplatz, während sie noch darauf warteten, an Bord zu gehen, hatte Louise gedacht, daß eigentlich nichts darauf hindeutete, daß sie auf dem Weg in ein afrikanisches Land waren. Nur wenige Passagiere waren schwarz oder farbig, die meisten waren Europäer.
    Was wußte sie wirklich über den schwarzen Kontinent? Wo war Afrika in ihrem Bewußtsein? In den Jahren ihres Studiums war der Kampf gegen die Apartheid in Südafrika Teil der umfassenden Solidaritätsbewegung gewesen. Sie hatte sich an vereinzelten Manifestationen beteiligt, ohne jedoch mit ganzem Herzen dabeizusein. Nelson Mandela war für sie eine rätselhafte Gestalt von nahezu übermenschlichen Fähigkeiten, wie die griechischen Philosophen, von denen sie in ihren Lehrbüchern gelesen hatte. Afrika gab es eigentlich nicht. Es war ein Kontinent der verschwommenen, oft unerträglichen Bilder. Tote, aufgedunsene Körper, der Kontinent der Leichenhaufen. Fliegen, die die Augen hungernder Kinder bedeckten, apathische Mütter mit versiegten Brüsten. Sie erinnerte sich an die Bilder von Idi Amin und seinem Sohn, herausgeputzt wie Zinnsoldaten in ihren grotesken Uniformen. Sie hatte immer gemeint, in den Augen von Afrikanern einen Haß zu sehen. Aber war es nicht vielmehr ihre eigene Angst, die sie in den dunklen Spiegeln entdeckt hatte?
    In der Nacht flogen sie über die Sahara. Sie war zu einem Kontinent unterwegs, der für sie genauso unbekannt und unerforscht war wie für jene Europäer, die Jahrhunderte vor ihr gekommen waren. Plötzlich fiel ihr ein, daß sie nicht daran gedacht hatte, sich impfen zu lassen. Würde man ihr die Einreise verweigern? Würde sie krank werden? Sollte sie nicht Medikamente einnehmen, um keine Malaria zu bekommen? Sie wußte es nicht.
    Als die Kabine abgedunkelt wurde, versuchte sie, einen Film anzusehen. Doch sie konnte sich nicht konzentrieren. Sie zog die Decke bis zum Kinn, stellte ihren Sitz in Ruheposition und schloß die Augen.
    Beinah unmittelbar fuhr sie wieder hoch und machte im Dunkeln die Augen auf. Was hatte sie zu sich selbst gesagt? Wie sucht man nach dem, wonach jemand gesucht hat? Sie konnte den Gedanken nicht zu Ende denken, er entglitt ihr. Sie schloß wieder die Augen. Dann und wann schlummerte sie ein, zweimal stieg sie über die schlafende Frau an ihrer Seite und suchte nach einer Stewardeß, die ihr Wasser geben konnte.
    Über den Tropen gerieten sie in eine Turbulenz, kräftiges Schütteln, die Leuchtanzeige mit den Sicherheitsgurten blinkte auf. Durchs Fenster konnte sie sehen, daß sie über ein starkes Gewitter hinwegflogen. Die Blitze schnitten Locher ins Dunkel, als ließe jemand eine riesige Schweißflamme aufschießen. Vulcanus, dachte sie. Er steht in seiner Schmiede und schlägt auf den Amboß.
    In der Morgendämmerung sah sie den ersten schwachen Lichtstreifen am Horizont. Sie aß das Frühstück, spürte, wie die Angst sich in ihrem Bauch zur Faust ballte, und sah schließlich unter sich die braungraue Landschaft. Aber war Afrika nicht tropisch grün? Was sie sah, glich eher einer Wüste oder einem abgesengten Stoppelacker.
    Sie haßte es zu landen, es machte ihr jedesmal angst. Sie schloß die Augen und umkrallte die Armlehnen. Die Maschine setzte mit einem

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