Kennedys Hirn
mir jetzt erzählt haben?«
»Nein, wir haben nie darüber gesprochen. Vielleicht hat Henrik im Internet nach Fakten über Christian Holloway gesucht. Er hat meinen Computer benutzt. Wenn Sie ihn brauchen, er steht zu Ihrer Verfügung. Es ist immer das beste, wenn man selbst sucht.«
Louise war überzeugt, daß der Mann auf der anderen Seite des Tischs sie anlog. Warum stritt er es ab?
Sie empfand einen plötzlichen Haß auf ihn, auf seine Selbstsicherheit, seine roten Augen und sein aufgedunsenes Gesicht. Erniedrigte er die ganze arme Welt auf die gleiche Art und Weise, wie er auf Lucinda herumgetrampelt war? Der Frauenjäger mit dem Diplomatenpaß in der Tasche?
Sie leerte ihr Glas und stand auf. »Ich muß schlafen.«
»Morgen kann ich Ihnen die Stadt zeigen, wenn Sie wollen. Wir können an den Strand fahren, gut zu Mittag essen und unser Gespräch fortführen.«
»Lassen Sie uns das morgen entscheiden. Sollte ich übrigens etwas gegen Malaria nehmen?«
»Damit hätten Sie vor einer Woche anfangen sollen.«
»Da wußte ich noch nicht einmal, daß ich herkommen würde. Was nehmen Sie?«
»Absolut nichts. Ich habe meine Anfälle gehabt, ich habe seit über zwanzig Jahren Malariaparasiten im Blut. Jetzt würde es sich für mich kaum noch lohnen, vorbeugende Mittel zu nehmen. Aber ich achte sorgfältig darauf, unter einem Netz zu schlafen.«
In der Tür blieb sie noch einmal stehen. »Hat Henrik mit Ihnen jemals über Kennedy gesprochen?«
»Den Präsidenten? Oder seine Frau? John F. oder Jackie?«
»Über sein verschwundenes Hirn?«
»Das wußte ich nicht. Daß das Gehirn verschwunden ist.«
»Hat er darüber gesprochen?«
»Nie. Daran würde ich mich erinnern. Aber ich erinnere mich an den Tag im November 1963. Ich studierte damals in Uppsala. Es war ein regnerischer, trister Tag mit einschläfernden Jura-Vorlesungen. Dann kam die Nachricht, es knatterte aus dem Radio, alles wurde sonderbar still. Woran erinnern Sie sich?«
»An sehr wenig. Mein Vater runzelte die Stirn und war noch schweigsamer als gewöhnlich. Hauptsächlich daran.«
Sie kroch ins Bett, nachdem sie geduscht und das Moskitonetz herabgelassen hatte. Die Klimaanlage summte, das Zimmer war dunkel. Sie meinte, seine Schritte auf der Treppe zu hören, kurz danach wurde im Flur das Licht ausgemacht. Der Lichtschein unter der Tür verschwand. Sie lauschte ins Dunkel.
In Gedanken ließ sie die Ereignisse des Tages noch einmal an sich vorüberziehen. Die Höllenwanderung durch die dunklen Räume mit sterbenden Menschen. Alles, was sie über Christian Holloway gehört hatte, die saubere Oberfläche und der schmutzige Inhalt. Was hatte Henrik gesehen, das ihn verändert hatte? Etwas Verborgenes war enthüllt worden. Sie strengte sich an, um die beiden Enden miteinander zu verknüpfen, doch es gelang ihr nicht.
Sie schlief ein, fuhr jedoch mit einem Ruck wieder hoch. Alles war sehr still. Viel zu still. Sie schlug im Dunkeln die Augen auf. Es dauerte einige Sekunden, bis ihr klar wurde, daß die
Klimaanlage nicht mehr lief. Sie tastete mit der Hand nach der Lampe am Bett. Sie ging nicht an, als sie den Schalter anknipste. Es mußte ein Stromausfall sein, dachte sie. Irgendwo hörte sie einen Generator anspringen. Von der Straße klang das Lachen eines Mannes herauf, vielleicht einer der Nachtwächter. Sie stand auf und trat ans Fenster. Auch die Straßenlaternen waren erloschen. Licht kam nur von dem Feuer, das die Nachtwachen angezündet hatten. Sie erkannte ihre Gesichter. Sie hatte Angst. Das Dunkel erschreckte sie. Sie hatte nicht einmal eine Taschenlampe, kein Licht, bei dem sie Sicherheit suchen konnte. Sie legte sich wieder hin.
Henrik hatte Angst im Dunkeln, als er klein war. Aron hatte immer Angst vor der Nacht. Er konnte nicht schlafen ohne einen Streifen Licht.
Im gleichen Augenblick kam der Strom zurück. Die Klimaanlage setzte quietschend wieder ein. Sie knipste sogleich die Lampe am Bett an und legte sich zurecht, um wieder zu schlafen. Doch sie mußte an das Gespräch mit Lars Häkansson in der Küche denken. Welchen Grund könnte er haben, zu behaupten, er habe mit Henrik nicht über Holloway gesprochen? Sie fand keine plausible Erklärung.
Sie hörte seine Worte. Wenn Sie den Computer brauchen, er steht zu Ihrer Verfügung. An dem Computer hatte Henrik gesessen. Vielleicht würde sie dort eine Spur von ihm finden?
Plötzlich war sie wieder hellwach. Sie stand auf, zog sich rasch an und öffnete die Tür zum Flur. Sie
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