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Kennedys Hirn

Kennedys Hirn

Titel: Kennedys Hirn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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rührte sich nicht, bis ihre Augen sich an das Dunkel gewöhnt hatten. Die Tür zu Lars Häkanssons Schlafzimmer war geschlossen. Das Arbeitszimmer lag am anderen Ende des Flurs, zum Garten hinaus. Sie tastete sich bis zur Tür, die angelehnt war, machte sie hinter sich zu und suchte den Lichtschalter. Sie setzte sich an den Schreibtisch und schaltete den Computer ein. Ein blinkender Text teilte ihr mit, daß der Computer zuletzt nicht ordnungsgemäß heruntergefahren worden war. Vermutlich war er in Ruhestellung gewesen, als der Strom ausfiel. Sie ging ins Internet und gab auf der Startseite einer Suchmaschine den Namen Holloway ein. Es waren viele Treffer, Adressen einer Restaurantkette, Holloway Inn in Kanada, und eine kleine Fluggesellschaft in Mexiko, Holloway-Air. Aber sie fand auch Christian Holloway's Missions. Sie wollte gerade auf den Link klicken, als eine Anzeige für eingegangene E-Mails zu blinken begann. Sie hatte nicht die Absicht, Lars Häkanssons Korrespondenz zu studieren, aber vielleicht hatte Henrik in der eingegangenen und gesendeten Post Spuren hinterlassen.
    Lars Häkansson hatte sein E-Mail-Programm nicht mit einem Paßwort geschützt. Sogleich fand sie zwei Briefe, die Henrik gesendet hatte. Einen vor vier Monaten, den zweiten, kurz bevor er Maputo zum letzten Mal verlassen haben mußte.
    Sie öffnete den ersten Brief. Er war an Nazrin gerichtet.
    »Zuerst streiche ich mit einem Nagel über die harte Maueroberfläche. Aber mein Nagel hinterläßt keine Spur. Dann nehme ich einen Steinsplitter und ritze die Mauer. Es gibt nur einen schwachen Kratzer, aber was ich getan habe, bleibt trotzdem erhalten. Dann kann ich weiter ritzen und kratzen und meinen Abdruck in der Mauer vertiefen, bis sie birst. So stelle ich mir auch mein Leben hier vor. Ich befinde mich in Afrika, es ist sehr warm, nachts liege ich schlaflos, nackt und verschwitzt, weil ich das Quietschen der Klimaanlage nicht ertrage. Ich denke, daß mein Leben sich darum dreht, nicht aufzugeben, bevor die Mauern, die einzureißen ich meinen Teil beitragen will, wirklich fallen. Henrik.«
    Sie las den Brief ein zweites Mal.
    Den anderen Brief hatte er an sich selbst geschickt, und zwar an seine hotmail-Adresse.
    »Ich schreibe dies in der Morgendämmerung. Die Zikaden sind verstummt, und die Hähne beginnen zu krähen, obwohl ich mitten in der großen Stadt wohne. Bald muß ich an Aron schreiben und ihm sagen, daß ich den Kontakt mit ihm abbrechen werde, wenn er seine Verantwortung für mich nicht annimmt und mein Vater wird. Ein Mann wird, auf den ich mich einlassen kann, für den ich Ergebenheit empfinden und in dem ich mich selbst sehen kann. Wenn er das tut, werde ich ihm von dem bemerkenswerten Mann erzählen, den ich noch nicht persönlich getroffen habe: Christian Holloway, der gezeigt hat, daß es trotz allem Güte gibt auf der Welt. Ich schreibe diese Zeilen im Haus von Lars Hakansson, auf seinem Computer, und ich kann mir nicht vorstellen, daß es mir bessergehen könnte als gerade in diesem Moment meines Lebens. Ich fahre bald zu dem Dorf mit den Kranken zurück und werde noch einmal das Gefühl spüren, daß ich etwas Nützliches tue. Henrik, an mich selbst.«
    Louise runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf. Langsam las sie den Brief noch einmal. Etwas stimmte nicht. Daß Henrik Briefe an sich selbst schrieb, brauchte nichts zu bedeuten. Das hatte sie in seinem Alter auch getan. Sie hatte sogar mit der Post Briefe an sich selbst geschickt. Es war etwas anderes, was sie beunruhigte.
    Sie las den Brief zum dritten Mal. Auf einmal wußte sie es. Es war die Sprache, die Art und Weise, wie der Brief konstruiert war. Henrik schrieb nicht so. Er redete direkt. Ein Wort wie »Ergebenheit« würde er nicht benutzen. Es war nicht seins, es war kein Wort seiner Generation.
    Sie schaltete den Computer ab und öffnete die Tür zum Flur. Bevor der Bildschirm erlosch, leuchtete er noch einmal einige Sekunden auf. In diesem Licht glaubte sie zu sehen, wie die Klinke an Lars Häkanssons Schlafzimmertür sich langsam nach oben bewegte. Das Licht erlosch, der Flur war dunkel.
    Lars Häkansson mußte im Flur gewesen und schnell in sein Zimmer zurückgekehrt sein, als er hörte, daß sie den Computer ausschaltete.
    Für einen Augenblick überkam sie Panik. Sollte sie zusehen, daß sie fortkam, mitten in der Nacht das Haus verlassen ? Aber wohin konnte sie sich wenden? Sie ging in ihr Zimmer und stellte einen Stuhl gegen die Tür, um zu

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