Kennedys Hirn
verhindern, daß jemand hereinkam. Dann legte sie sich ins Bett, schaltete die Klimaanlage aus und ließ die Bettlampe brennen.
Eine einzelne Mücke tanzte vor dem weißen Netz. Mit pochendem Herzen horchte sie auf Geräusche. Hörte sie seine Schritte? Lauschte er an ihrer Tür?
Sie versuchte, ganz klar zu denken. Warum hatte Lars Hä-kansson einen Brief in Henriks Namen geschrieben und in seinem Computer gespeichert? Es gab keine Antwort, nur ein kriechendes Gefühl von Unwirklichkeit. Es war, als beträte sie erneut Henriks Wohnung in Stockholm und fände ihn tot.
Ich fürchte mich, dachte sie. Ich bin umgeben von etwas, was Henrik in Angst versetzt hat, eine unsichtbare, aber gefährliche Hülle, die auch ihn umschlossen hat.
Die Nacht war stickig und feucht. Entfernt hörte sie ein Gewitter. Es zog ab in die Richtung, in der sie sich die fernen Berge von Swasiland vorstellte.
16
S ie lag wach bis zur Morgendämmerung. Sie wußte nicht mehr, wie oft seit Henriks Tod sie von Schlaflosigkeit befallen worden war. In ihrem Reich herrschte ein ständiger Schlafmangel. Erst als das schwache Morgenlicht durch die Gardinen drang und sie Celina mit einer der Nachtwachen reden hörte, die sich am Wasserhahn im Garten wusch, fühlte sie sich so ruhig, daß sie schlafen konnte.
Sie erwachte vom Bellen eines Hundes. Sie hatte drei Stunden geschlafen, es war neun Uhr. Sie blieb im Bett liegen und lauschte, wie Celina oder Graça draußen im Flur fegte. Ihre Angst war jetzt verschwunden und dem Gefühl einer ohnmächtigen Wut darüber gewichen, gekränkt worden zu sein. Glaubte Lars Hakansson wirklich, daß sie den Brief, den er in Henriks Namen geschrieben hatte, nicht durchschauen würde? Warum hatte er das getan?
Sie fühlte sich plötzlich von jeder Rücksichtnahme befreit. Er war mit brutalen Schritten in ihr Leben getrampelt, er hatte gelogen und einen falschen Brief in seinem Computer gespeichert. Außerdem hatte er sie erschreckt und ihr den Schlaf geraubt. Jetzt würde sie seinen Computer, seine Schränke und Schubläden durchsuchen, um zu sehen, ob es dort irgend etwas gab, was Henrik wirklich hinterlassen hatte. Aber vor allem wollte sie verstehen, warum Henrik Vertrauen zu ihm gehabt hatte.
Als sie in die Küche hinunterkam, hatte Graça Frühstück für sie vorbereitet. Es beschämte sie, von dieser alten Frau bedient zu werden, die starke Schmerzen im Rücken und in den Händen hatte. Graça lächelte mit einem nahezu zahnlosen Mund und sprach ein fast unverständliches Portugiesisch, in das sie einige englische Wörter einstreute. Als Celina in die Küche trat, verstummte Graça. Celina fragte, ob sie Louises Zimmer machen könne.
»Ich kann mein Bett selbst machen.«
Celina lachte freudlos und schüttelte den Kopf. Als sie die Küche verließ, ging Louise ihr nach.
»Ich bin es gewohnt, mein Bett selbst zu machen.«
»Nicht hier. Es ist meine Arbeit.«
»Gefällt es Ihnen hier?«
»Ja. «
»Wieviel bekommen Sie im Monat für Ihre Arbeit?«
Celina zögerte, ob sie antworten sollte. Aber Louise war weiß, stand über ihr, auch wenn sie nur ein Gast war.
»Ich bekomme fünfzig Dollar im Monat und genausoviel in Meticais.«
Louise rechnete nach. Siebenhundert Kronen im Monat. War das viel oder wenig? Wie weit kam man damit? Sie fragte nach dem Preis für Speiseöl und Reis und Brot und war erstaunt über Celinas Antwort.
»Wie viele Kinder haben Sie?«
»Sechs. «
»Und Ihr Mann?«
»Er ist wahrscheinlich in Südafrika und arbeitet im Bergwerk. «
»Wahrscheinlich ?«
»Ich habe seit zwei Jahren nichts von ihm gehört.«
»Lieben Sie ihn?«
Celina betrachtete sie verwundert. »Er ist der Vater meiner Kinder. «
Louise bereute ihre Frage, als sie sah, wie peinlich berührt Celina war.
Sie kehrte ins Obergeschoß zurück und ging in Lars Häkanssons Arbeitszimmer. Die Hitze war schon drückend. Sie schaltete die Klimaanlage ein, setzte sich und verharrte reglos, bis sie fühlte, daß die Luft kühler wurde.
Jemand war nach ihr im Zimmer gewesen. Aber wahrscheinlich weder Celina noch Graça, denn der Fußboden war an diesem Morgen noch nicht gefegt worden. Der Stuhl am Computertisch war hervorgezogen. Sie selbst hatte ihn unter den Tisch geschoben.
Es war eins von König Arturs wichtigsten Geboten in ihrer Kindheit. Ein für eine Mahlzeit hervorgezogener Stuhl mußte wieder zurückgeschoben werden, wenn man den Tisch verließ.
Sie blickte sich im Zimmer um. Regale mit Ordnern,
Weitere Kostenlose Bücher