Kennen Wir Uns Nicht?
sich verändert?« Neugierig mustert Nicole mein Spiegelbild.
»Alles!«, stöhne ich. »Ich sehe so ... poliert aus.«
»Poliert?« Sie lacht.
»Mein Haar, meine Beine, meine Zähne ...« Ich kann mich gar nicht abwenden von diesem makellosen Perlweiß. Die müssen ein Vermögen gekostet haben.
»Die sind hübsch!« Sie nickt höflich.
»Nein. Nein, nein!« Ich schüttle heftig den Kopf. »Ich begreif das nicht. Ich habe die schlimmsten Zähne auf der ganzen Welt. Mein Spitzname ist >Frettchen<.«
»Jetzt wohl nicht mehr.« Amüsiert zieht Nicole eine Augenbraue hoch.
»Außerdem hab ich irre viel abgenommen ... und mein Gesicht ist irgendwie anders. Ich weiß noch nicht, woran es liegt ...« Ich konzentriere mich auf mein Spiegelbild, will es unbedingt herausfinden. Meine Augenbrauen sind schmal und gepflegt... meine Lippen scheinen irgendwie voller zu sein ... misstrauisch sehe ich noch genauer hin. Habe ich da möglicherweise was machen lassen? Habe ich mich in jemanden verwandelt, der an sich herumdoktern lässt?
Ich reiße mich vom Spiegel los. Mir wird schwindlig.
»Ganz ruhig!« Nicole läuft mir eilig hinterher. »Sie stehen noch unter Schock. Vielleicht sollten Sie es Schritt für Schritt angehen ...«
Ich ignoriere sie, schnappe mir die Louis Vuitton-Tasche und fange an, Sachen herauszuholen, wobei ich jedes einzelne Teil genau untersuche, als könnte darin eine Botschaft verborgen sein. Mein Gott, sieh sich einer dieses Zeug an! Ein Schlüsseltäschchen von Tiffany, eine Sonnenbrille von Prada, Lipgloss von Lancöme, nicht Tesco.
Und da ist ein kleiner, lindgrüner Smythson-Terminkalender. Ich zögere einen Moment, mache mir Mut - dann schlage ich ihn auf. Erschrocken sehe ich meine vertraute Handschrift. Lexi Smart, 2007 steht da. Offenbar habe ich die Worte selbst geschrieben. Und anscheinend habe ich auch den kleinen Vogel in die Ecke gekritzelt. Aber ich kann mich beim besten Willen nicht mehr daran erinnern.
Ich blättere in dem Büchlein herum und komme mir vor, als würde ich mir selbst nachspionieren. Auf jeder Seite stehen Termine: Mittagessen 12:30, Drinks mit P. Treffen GUI - Entwürfe. Aber alle Eintragungen bestehen nur aus Initialen und Abkürzungen. Dem kann ich nicht viel entnehmen. Ich blättere weiter bis zum Ende, und ein ganzer Schwung Visitenkarten fällt aus dem Buch. Ich hebe eine auf, lese den Namen und ... erstarre.
Es ist eine Karte der Firma, für die ich arbeite - Deller Carpets, allerdings mit einem trendigen, neuen Logo. Und der Name ist klar und deutlich in Anthrazit gedruckt:
Lexi Smart Abteilungsleitung Bodenbeläge
Mir ist, als würde mir der Erdboden unter den Füßen weggerissen.
»Lexi?« Nicole beobachtet mich besorgt. »Sie sind ganz blass geworden.«
»Sehen Sie sich das an.« Ich halte ihr die Karte hin und versuche, mich zusammenzureißen. »Hier steht >Abteilungsleitung< auf meiner Visitenkarte. Das ist so was wie Chef der ganzen Abteilung. Wie um alles in der Welt bin ich Chefin geworden?« Meine Stimme wird schriller als beabsichtigt. »Ich bin erst seit einem Jahr in der Firma. Ich habe ja nicht mal eine Prämie bekommen!«
Mit zitternden Händen schiebe ich die Karte wieder zwischen die Seiten des Kalenders und greife noch mal in die Handtasche. Ich muss mein Handy finden. Ich muss meine Freunde, meine Familie anrufen, irgend jemanden, der weiß, was los ist...
Da!
Es ist ein elegantes, neues Modell, das ich nicht kenne, aber dennoch leicht zu bedienen. Ich habe keine Nachrichten auf der Mailbox, aber eine neue, noch ungelesene SMS. Ich rufe sie auf und starre den kleinen Bildschirm an.
es wird spät, ich ruf an, wenn ich kann.
E.
Wer ist »E«? Ich zermartere mir das Hirn, aber mir fallt kein einziger Mensch ein, dessen Name mit E anfängt. Jemand Neues bei der Arbeit? Ich gehe zu den eingegangenen Nachrichten, und gleich die erste ist auch von »E«: »Dasglaube ich nicht. E.«
Ist E. meine neue, beste Freundin, oder was?
Ich werde mir meine Nachrichten später ansehen. Im Moment muss ich mit jemandem sprechen, der mich kennt, der mir genau sagen kann, was in meinem Leben in den letzten drei Jahren passiert ist... Ich drücke die Kurzwahl für Fionas Nummer, trommle mit den Fingernägeln und warte darauf, dass sie rangeht.
»Hi, hier spricht Fiona Roper, bitte hinterlassen Sie eine Nachricht ...«
»Hey, Fi«, sage ich, sobald der Piepton ertönt. »Ich bins, Lexi! Hör zu, ich weiß, es klingt komisch, aber ich hatte einen
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