Kennen Wir Uns Nicht?
Unfall. Ich liege im Krankenhaus, und wollte nur ... Ich muss mit dir reden. Es ist ziemlich wichtig. Kannst du mich anrufen? Bye.« Als ich das Handy zuklappe, legt Nicole tadelnd ihre Hand darauf.
»Das dürfen Sie hier drinnen nicht benutzen«, sagt sie. »Aber Sie können übers Festnetz telefonieren. Ich besorge Ihnen einen Apparat.«
»Okay.« Ich nicke. »Danke.« Gerade will ich meine alten SMS durchforsten, als es an der Tür klopft und eine andere Schwester mit ein paar Tüten hereinkommt.
»Hier bringe ich Ihre Kleider ...« Sie stellt eine Tüte auf mein Bett. Ich greife hinein, hole eine schwarze Jeans heraus und starre sie an. Was ist das? Der Bund ist zu hoch, und sie ist viel zu eng, fast wie Leggins. Wie soll man darunter Stiefel tragen?
»Seven For All Mankind«, sagt Nicole mit hochgezogenen Augenbrauen. »Sehr hübsch.«
Was für Seven?
»So eine hätte ich auch gern.« Bewundernd streicht sie über ein Hosenbein. »Schlappe Zweihundert das Stück, oder?«
Zweihundert Pfund? Für Jeans?
»Und hier ist Ihr Schmuck«, fugt die andere Schwester hinzu und hält mir einen durchsichtigen Plastikbeutel hin. »Den mussten wir Ihnen abnehmen. Für die Untersuchungen.«
Noch immer sprachlos wegen der Jeans, nehme ich den Beutel. Ich war noch nie ein Schmucktyp, es sei denn, man zählt Ohrringe von Topshop und eine Swatch dazu. Ich fühle mich wie ein kleines Mädchen mit einem Weihnachtsstrumpf. Ich greife in die Tasche und hole ein goldenes Knäuel hervor. Es ist ein teuer anmutendes Armband aus gehämmertem Gold und eine dazu passende Kette, außerdem eine Uhr.
»Wow. Das ist hübsch.« Ich streife das Armband vorsichtig über meine Finger, dann greife ich wieder hinein und hole zwei lange Ohrringe heraus. Zwischen all dem verknoteten Gold ist auch ein Ring, und mit etwas Mühe kann ich ihn entwirren.
Dann scheint der ganze Raum tief einzuatmen und die Luft anzuhalten. Jemand flüstert: »Oh, mein Gott!«
Ich halte einen riesigen, glitzernden Brillantring in der Hand. So einen wie im Kino. So einen, wie man ihn auf dunkelblauem Samt im Schaufenster eines Juweliers liegen sieht, ohne Preisschild. Endlich reiße ich mich davon los und merke, dass auch die beiden Krankenschwestern wie gebannt sind.
»Hey!«, ruft Nicole plötzlich. »Da ist noch was! Machen Sie Ihre Hand auf, Lexi ...« Sie kippt den Beutel und tippt an die Ecke. Einen Moment rührt sich nichts, dann rollt ein schlichter, goldener Ring auf meine Hand.
Ich habe so ein Rauschen in den Ohren, als ich ihn anstarre.
»Offenbar sind Sie verheiratet!«, sagt Nicole begeistert.
Nein. Niemals. Ich müsste es doch wissen y wenn ich verheiratet wäre. Das müsste ich doch tief im Innersten spüren - ob ich nun mein Gedächtnis verloren habe oder nicht. Ich drehe den Ring unbeholfen hin und her, und mir wird heiß und kalt.
»Ist sie.« Die zweite Schwester nickt. »Sind Sie. Erinnern Sie sich?«
Benommen schüttle ich den Kopf.
»Erinnern Sie sich nicht an Ihre Hochzeit?« Nicole steht mit offenem Mund da. »Erinnern Sie sich denn wenigstens ein kleines bisschen an Ihren Mann?«
»Nein.« Entsetzt blicke ich auf. »Ich hab doch wohl nicht Loser Dave geheiratet, oder?«
»Keine Ahnung!« Nicole lacht und hält sich den Mund zu. »Entschuldigung. Sie sahen gerade so entsetzt aus. Wissen Sie, wie er heißt?« Sie sieht die andere Schwester an, doch die schüttelt den Kopf.
»Tut mir leid, ich war auf der anderen Station. Aber ich weiß, dass es da einen Ehemann gibt.«
»Sehen Sie, der Ring hat eine Gravur!«, ruft Nicole und nimmt ihn mir aus der Hand. »A. S. und E. G., 3. Juni 2005. Da steht der zweite Hochzeitstag bald vor der Tür.« Sie gibt ihn mir zurück. »Sind Sie das?«
Ich atme schnell. Es stimmt. Da steht es in Gold graviert.
»A. S. bin ich«, sage ich schließlich. »A für Alexia. Aber ich habe keine Ahnung, wer E. G. ist.«
Plötzlich fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Das muss »E« aus meinem Handy sein. Er hat mir gesimst. Mein Mann.
»Ich glaube, ich brauch kaltes Wasser...« Mit leichtem Schwindelgefuhl taumle ich ins Bad, spritze mir Wasser ins Gesicht, dann beuge ich mich über das kalte Emaillebecken und starre mein lädiertes, altbekannt-unbekanntes Spiegelbild an. Ich glaube, ich brech gleich zusammen. Spielt mir da jemand einen grausamen Streich? Habe ich Halluzinationen?
Ich bin achtundzwanzig, ich habe makellos weiße Zähne, eine Louis Vuitton-Handtasche, eine Visitenkarte, auf der
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