Kennen Wir Uns Nicht?
bist ein Naturtalent!« Rosalie cremt sich von oben bis unten mit Bodylotion ein. »Du bist die Beste im Kurs.«
Ich schalte den Föhn ab, fahre mit den Händen durch mein trockenes Haar und betrachte mich im Spiegel. Zum millionsten Mal bleibt mein Blick an diesen strahlend weißen Zähnen hängen - und an den vollen, rosigen Lippen. So hat mein Mund 2004 aber nicht ausgesehen. Das weiß ich genau.
»Rosalie.« Ich spreche ganz leise. »Darf ich dir eine ... eine persönliche Frage stellen?«
»Aber natürlich.«
»Habe ich irgendwas machen lassen? Mit meinem Gesicht? Botox vielleicht? Oder eine ...«, ich spreche noch leiser, kann kaum glauben, was ich da sage: »... Operation?«
»Süße!« Rosalie ist schockiert. »Schscht!« Sie hält ihren Zeigefinger an die Lippen.
»Aber ...«
»Schscht! Selbstverständlich haben wir nichts machen lassen! Alles total einhundert Prozent natürlich.« Sie zwinkert mir zu.
Was soll dieses Zwinkern bedeuten?
»Rosalie, du musst mir sagen, was bei mir gemacht wurde ...« Plötzlich erstirbt meine Stimme, abgelenkt von meinem Spiegelbild. Ohne zu merken, was ich tue, habe ich Haarnadeln aus einer Schale genommen und mir ganz automatisch die Haare hochgesteckt. In etwa dreißig Sekunden habe ich mir einen perfekten Chignon zurechtgebastelt.
Wie hab ich das denn gemacht?
Als ich meine Hände betrachte, spüre ich leise Hysterie in mir aufsteigen. Was kann ich sonst noch? Bomben entschärfen? Jemanden erdrosseln?
»Was ist?« Rosalie sieht meinen Blick.
»Ich habe mir gerade die Haare hochgesteckt.« Ich deute auf den Spiegel. »Sieh es dir an! Es ist unglaublich. Das habe ich vorher noch nie gemacht.«
»Hast du wohl!« Verblüfft sieht sie mich an. »Das trägst du jeden Tag zur Arbeit.«
»Aber ich kann mich nicht erinnern. Es ist... es ist, als hätte Superwoman meinen Körper übernommen. Ich kann auf High Heels laufen. Ich kann mein Haar hochstecken. Ich kann Spagat... ich bin wie dieses Superweib! Aber das bin doch nicht ich!«
»Süße, du bist es.« Rosalie drückt meinen Arm. »Gewöhn dich lieber daran.«
In der Saftbar essen wir zu Mittag und plaudern mit zwei Frauen, die mich zu kennen scheinen. Danach bringt Rosalie mich nach Hause. Als wir mit dem Lift nach oben fahren, bin ich plötzlich ganz erschöpft.
»So!«, sagt Rosalie, als wir in die Wohnung kommen. »Möchtest du noch einen Blick auf deine Sachen werfen? Vielleicht die Bademode?«
»Ehrlich gesagt, bin ich ziemlich fertig«, sage ich entschuldigend. »Hättest du was dagegen, wenn ich mich etwas ausruhe?«
»Überhaupt nicht!« Sie tätschelt meinen Arm. »Ich warte hier auf dich und pass auf...«
»Sei nicht albern.« Ich lächle. »Ich komm schon zurecht, bis Eric wieder da ist. Und ... danke, Rosalie. Das war wirklich nett von dir.«
»Meine Hübsche.« Sie umarmt mich und nimmt ihre Tasche. »Ich ruf an. Pass auf dich auf!« Sie ist schon halb zur Tür hinaus, als mir etwas einfällt.
»Rosalie!«, rufe ich. »Was soll ich Eric heute Abend kochen?«
Sie dreht sich um und starrt mich verständnislos an. Es scheint eine ziemlich merkwürdige Frage zu sein, so aus heiterem Himmel.
»Ich dachte nur, du weißt vielleicht, was er gern isst.« Ich lache verlegen.
»Süße ...« Rosalie zwinkert mehrmals. »Süße, du kochst doch kein Abendessen. Gianna kocht das Abendessen. Deine Haushälterin. Sie ist bestimmt gerade einkaufen, dann kommt sie wieder, macht das Essen, schüttelt dein Bett auf...«
»Ach ja. Natürlich!« Ich nicke und gebe mir Mühe, so auszusehen, als wüsste ich das alles längst.
Verdammt. Das ist wirklich ein völlig anderes Leben. Ich hatte noch nie eine Putzfrau, ganz zu schweigen von einer Fünf-Sterne-Hotel-mäßigen Haushälterin.
»Na, dann gehe ich eben einfach ins Bett«, sage ich. »Bye.«
Rosalie wirft mir einen Kuss zu und schließt die Tür hinter sich. Ich gehe in das cremefarbene Schlafzimmer mit der edlen, dunklen Holzvertäfelung und dem riesigen, wildledernen Bett. Eric hat darauf bestanden, dass ich das große Schlafzimmer nehme, was wirklich sehr nett und nobel von ihm ist. Allerdings ist das Gästezimmer auch ziemlich luxuriös. Ich glaube, er hat da sogar seinen eigenen Whirlpool, also kann er sich wohl nicht beklagen.
Ich ziehe die Schuhe aus, steige unter die Decke und spüre, wie ich mich augenblicklich entspanne. Das ist das bequemste Bett, in dem ich je gelegen habe -jemals. Ich rolle herum, genieße die samtigen Laken, die weichen
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