Kennen Wir Uns Nicht?
Was habe ich mir gewünscht?
Während ich das Papier hin und her drehe, versuche ich mir vorzustellen, wie ich dasitze und diese Worte schreibe. Ich versuche sogar (obwohl ich weiß, dass es sinnlos ist), mich daran zu erinnern, wann ich sie aufgeschrieben habe. War es vor einem Jahr? Vor sechs Monaten? Vor drei Wochen? Was habe ich damit gemeint?
Die Türklingel reißt mich aus meinen Gedanken. Ich falte den Zettel sorgfältig zusammen und stecke ihn ein. Dann knall ich die Schublade zu und setz mich in Bewegung.
Mum hat drei ihrer Hunde mitgebracht. Drei riesengroße, aufgedrehte Whippets. In eine makellose Wohnung voll makelloser Möbel.
»Hi, Mum!« Ich nehme ihr die schäbige Daunenjacke ab und versuche, ihr einen Kuss zu geben, als sich zwei der Hunde losreißen und direkt zum Sofa wetzen. »Wow. Du hast... Hunde dabei!«
»Die armen Dinger sahen so einsam aus, als ich wegmusste.« Sie umarmt einen von ihnen, drückt ihre Wange an seine Schnauze. »Agnes ist momentan so sensibel.«
»Ach ...«, sage ich und gebe mir alle Mühe, mitfühlend zu klingen. »Arme, alte Agnes. Könnte sie nicht vielleicht im Auto bleiben?«
»Schätzchen, ich kann sie doch nicht einfach allein lassen!« Mit Märtyrermiene blickt sie zu mir auf. »Es war schon schwierig genug, diese Fahrt nach London zu organisieren.«
Ach, du je. Ich hab doch schon geahnt, dass sie gar nicht kommen wollte. Der ganze Besuch beruht auf einem Missverständnis. Ich habe am Telefon nur gesagt, dass ich mir etwas komisch vorkomme, weil ich von Fremden umgeben bin, und schon fing Mum an, sich zu rechtfertigen, und sagte, selbstverständlich sei sie immer für mich da. Und am Ende haben wir uns dann verabredet.
Entsetzt sehe ich mit an, wie einer der Hunde seine Pfoten auf den Glastisch stellt, während der andere auf dem Sofa liegt und in ein Kissen beißt.
Himmel! Wenn das Sofa schon zehntausend Pfund wert ist, dann kostet allein dieses Kissen mindestens tausend.
»Mum, könntest du vielleicht diesen Hund da vorn Sofa holen?«
»Raphael tut doch gar nichts!«, sagt Mum gekränkt. Sie lässt Agnes los, die sofort zu Raphael und dem anderen Hund rennt. Und schon toben drei Whippets fröhlich auf Erics Sofa herum. Hoffentlich schaltet er nicht gleich die Kameras ein!
»Hast du ‚ne Cola Light?« Amy kommt hinter Mum hereingeschlendert, die Hände in den Hosentaschen.
»In der Küche, glaube ich«, sage ich zerstreut und mache meinen Arm lang. »Hier, Hunde! Runter vom Sofa!«
Die drei beachten mich überhaupt nicht.
»Kommt her, meine Süßen!« Mum holt ein paar Hundekuchen aus ihrer Strickjacke, und wie von Zauberhand hören die Hunde auf, an den Polstern herumzukauen. Einer sitzt ihr zu Füßen, und die anderen beiden kuscheln sich an sie, legen die Köpfe auf ihren bunt gemusterten Rock.
»Na also«, sagt Mum. »Nichts passiert.«
Ich betrachte das vollgesabberte Kissen, das Raphael gerade fallen gelassen hat, aber es lohnt sich nicht, etwas dazu zu sagen.
»Da ist keine Cola Light.« Amy kommt mit ihren endlos langen Beinen in weißen Jeans und Cowboystiefeln aus der Küche gestakst und wickelt gerade einen Chupa Chups-Lolly aus. »Hast du Sprite?«
»Könnte sein ...« Ich starre sie an, plötzlich verwundert. »Müsstest du nicht in der Schule sein?«
»Nein.« Mit trotzigem Achselzucken schiebt sie sich den Lolly in den Mund.
»Warum nicht?« Mein Blick wandert von ihr zu Mum. Auf einmal liegt so eine Spannung in der Luft.
Ich bekomme keine Antwort. Mum rückt erst mal ihren samtenen Haarreif zurecht, mit verträumtem Blick, als gäbe es im Augenblick nichts Wichtigeres, als diesen Haarreif korrekt zu positionieren.
»Amy hat ein klitzekleines Problemchen«, sagt sie schließlich. »Hat sie doch, oder was meinst du, Raphael?«
»Ich bin vorübergehend von der Schule geflogen.« Großspurig stolziert Amy auf einen Sessel zu, setzt sich und legt die Füße auf den Kaffeetisch.
»Von der Schule geflogen ? Wieso das denn?«
Schweigen. Mum scheint mich nicht gehört zu haben. »Mum, wieso?«
»Ich furchte, Amy hat schon wieder mit ihren Tricks angefangen«, sagt Mum und verzieht das Gesicht.
»Tricks?«
Die einzigen Tricks, an die ich mich im Zusammenhang mit Amy erinnern kann, sind Kartentricks aus einem Zauberkasten, den sie mal zu Weihnachten bekommen hat. Ich sehe sie noch vor mir, wie sie in ihrem pinkfarbenen Pyjama mit Häschenpuschen vor dem Kamin stand und uns aufforderte, eine Karte zu ziehen, und wir alle so taten,
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