Kennwort: Schwarzer Ritter
überschauen konnte, und nippte, wie jeden Abend um diese Zeit, an seinem Pfefferminzgetränk. Er hätte zwar ein Bier oder einen Whisky bevorzugt, aber er hatte mit dem Trinken aufgehört – und diesmal endgültig.
Seit er vor zwei Monaten von Bordeaux hierher gekommen war, hatte er es sich zur Angewohnheit gemacht, die Rückkehr der Boote zu beobachten. Wenn die ersten Fischerboote in den Hafen einfuhren, erwachte die eher schläfrige Stadt plötzlich zu quirligem Leben. Sobald die Trawler angetäut waren, wurden riesige Körbe voll mit Fischen aus den Bäuchen der Boote geholt und in Reih und Glied am Kai aufgestellt, wo Restaurantbetreiber, Ladenbesitzer und Hausfrauen schon darauf warteten, das beste Angebot zum günstigsten Preis zu ergattern.
Das tägliche Schauspiel war durchaus sehenswert, aber manchmal war Emile von seinem neuen Leben dermaßen angeödet, dass er das Gefühl hatte, verrückt zu werden. Nur, welche Alternativen gab es schon für ihn? Schließlich schwamm er nicht im Geld. Wäre er reich genug, dann hätte er sich für einen anderen Ort entschieden, an dem er den Rest seines Lebens verbringen würde – die Costa del Sol vielleicht oder die Kanarischen Inseln, wo die Sonne heiß und das Leben abwechslungsreicher war.
Stattdessen war er in diesem verschlafenen Kaff gelandet, wo ein alter Freund ihm ein Apartment untervermietet hatte. Die Wohnung war zwar kaum größer als eine Briefmarke, und es gab kein heißes Wasser, aber was konnte man für dreihundert Euro im Monat schon erwarten?
Manchmal, wenn er zurückblickte, fragte er sich, was wohl geschehen wäre, wenn er wegen seiner Trinkerei nicht die beiden besten Dinge seines Lebens verloren hätte – seine Familie und seine Arbeit.
Er hatte nie damit gerechnet, dass Antoinette ihn hinauswerfen würde, aber die Kündigung beim
Bordeaux-Matin
, wo er die letzten zehn Jahre als Reporter gearbeitet hatte, war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hatte. Innerhalb von vierundzwanzig Stunden war er heimatlos, arbeitslos und so deprimiert, dass er tatsächlich daran gedacht hatte, von einer Brücke in die Garonne zu springen.
Dann hatte ihn doch der Mut verlassen, und er war zitternd wie Espenlaub über das Geländer zurückgeklettert. Als ihm dann sein Freund Jacquo, der Makler, das Apartment in Saint-Jean-de-Luz anbot, hatte er es dankbar angenommen. Vielleicht brauchte er einen Neuanfang, um wieder auf die Beine zu kommen, nicht in Bordeaux, sondern irgendwo anders, wo er nicht heimgesucht wurde vom Gedanken an sein Versagen als Mann, Ehemann und Vater. Und wenn er die Finger vom Alkohol ließe und einen neuen Job fände, könnte er vielleicht wieder zu Antoinette zurückkehren.
Bis jetzt hatte er sich ganz gut gehalten. Er trank nur noch Mineralwasser mit Pfefferminzgeschmack und aß drei Mahlzeiten pro Tag. Er hatte sogar einen Job in einem Laden mit Autoersatzteilen gefunden. Die Bezahlung war zwar nicht besonders gut, aber es reichte für Essen und Miete. Er konnte sogar Antoinette jede Woche etwas Geld nach Hause schicken, womit sie bestimmt nicht gerechnet hatte.
Emile Sardoux war wieder auf dem Weg zurück ins Leben. Er konnte es spüren. Jetzt musste er nur noch seinen ehemaligen Chef dazu überreden, ihm eine neue Chance zu geben; dann wäre er ein rundum glücklicher Mensch. Aber um das Vertrauen von Maurice zurückzugewinnen, musste er schon etwas Besonderes leisten. Er musste ihm beweisen, dass er immer noch das Zeug zu einem erstklassigen Reporter hatte. Er war einmal der Beste gewesen, hatte Stories ausgegraben, mit denen kein anderer etwas zu tun haben wollte, und oft hatte er Kopf und Kragen riskiert, um die Wahrheit herauszufinden. Dann hatte er mit dem Trinken angefangen, weiß der Teufel, warum, und von da an war alles außer Kontrolle geraten.
Das Problem war nur: Bis auf eine gelegentliche Kneipenschlägerei oder einer Auseinandersetzung über küstennahe Fischgründe passierte nichts in Saint-Jean-de-Luz, über das zu schreiben sich gelohnt hätte. Er brauchte eine große Geschichte, eine, mit der er seine Talente beweisen konnte und die ihn im ganzen Land berühmt machte.
Er unterdrückte einen Seufzer des Selbstmitleids und leerte sein Glas. Zeit nach Hause zu gehen und das Abendessen zu machen. Vielleicht sollte er unterwegs ein wenig Tunfisch kaufen. Er holte tief Luft, als er daran dachte, wie gut ein gekühlter Sauvignon zu dem gebratenen Fisch schmecken würde. Dann schüttelte er den Kopf.
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