Kennwort: Schwarzer Ritter
Guinevere nannte. Sie wurde vor ein paar Jahren ermordet, aber vielleicht kann ich Tiger Lilly finden, wenn ich so tue, als sei Guinevere noch am Leben. Meinst du, das klappt?“
„Klar. Ich muss nur Guinevere als zweiten Benutzernamen eingeben, vorausgesetzt, er wird noch nicht benutzt. Es dauert nur eine Minute.“
Zuversichtlich nahm LuAnn Platz und loggte sich ein. Eine Menüleiste erschien auf dem Bildschirm, dann eine zweite. LuAnn gab ihren zweiten Benutzernamen ein, wählte ein Passwort, speicherte es und grinste Kate breit an.
„Das ist alles?“
„Das ist alles. Jetzt werden wir mal nach Tiger Lilly suchen. Das Problem ist natürlich, dass zwei Jahre eine lange Zeit sind. Die Leute kommen und gehen.“
Kate blickte erwartungsvoll auf den Bildschirm. „Schau mal, was du tun kannst.“
Mit einer Hand auf dem Tisch und der anderen auf LuAnns Stuhllehne gestützt, beobachtete Kate, wie ihre Freundin mit dem Cursor über den Bildschirm fuhr, suchte und klickte, bis das Logo vom
Spinnennetz
am oberen Rand der Seite erschien.
LuAnn warf ihr über die Schulter einen Blick zu, und ihre Augen glänzten vor Boshaftigkeit. „Jetzt wirds spannend, Schätzchen. Schnall dich besser an“, imitierte sie diesmal die Stimme von Bette Davis.
Kate beobachtete fasziniert, wie LuAnn sich als Guinevere vorstellte und erklärte, dass sie längere Zeit nicht im
Spinnennetz
gewesen sei, aber dennoch hoffe, ein paar alte Freunde wiederzutreffen. Die Unterhaltung nahm rasch einen eindeutigen Verlauf, als jeder Teilnehmer seine mehr oder weniger schlüpfrigen Sätze beisteuerte. Hin und wieder tauchte ein neues Fenster auf dem Schirm auf, in dem ein Gast LuAnn in einen privaten Chatroom locken wollte. Sie lehnte jedes Mal freundlich ab, bevor sie sich wieder dem allgemeinen Chatroom zuwandte, wo die Besucher kamen und gingen.
Keiner aber hatte je etwas von Tiger Lilly gehört.
Eine Stunde später lehnte LuAnn sich in ihrem Stuhl zurück und dehnte die Finger. „Wir haben kein Glück, meine Liebe.“
„Könnte sie woanders sein? In einem anderen Chatroom?“
„Es gibt hunderte von ähnlichen Chatrooms im Internet, aber nur rund ein Dutzend ist so schamlos wie das
Spinnennetz
. Soll ich noch ein paar andere ausprobieren?“
„Ja, bitte.“
In der nächsten Stunde erlebten sie noch mehr von dem erotischen Geplänkel zwischen vollkommen Fremden: Fragen nach Treffen, Angebote von Literatur und Videos. Ein Mann bot LuAnn sogar an, mit ihr unbekannterweise übers Wochenende nach Paris zu fliegen. Sie verdrehte nur die Augen und wechselte in den nächsten Chatroom.
Um Viertel vor vier, nach zwei geschlagenen Stunden des Suchens und Durchforstens unzähliger Chatrooms und Gesprächen mit vollkommen hemmungslosen Fremden, stieß LuAnn einen kleinen Freudenschrei aus.
Kate, die auf dem Weg zur Küche war, um mehr Kaffee zu machen, lief zurück. „Hast du sie gefunden?“
„Sie hat sich gerade in einen Chatroom namens
Sex-Freunde
eingeloggt.“
Kate zog einen Stuhl heran und setzte sich neben LuAnn, die den Bildschirm etwas drehte, damit sie die Sätze ebenfalls lesen konnte.
„Guinevere, du verdorbenes Mädchen“, schrieb Tiger Lilly, „wo hast du dich die ganze Zeit herumgetrieben?“
„Hier und dort“, schrieb LuAnn zurück.
„Und hier und dort gab’s keinen Internetzugang?“ neckte sie. Ehe LuAnn eine Antwort tippen konnte, hatte Tiger Lilly bereits eine weitere Botschaft geschickt, und zwar an alle, die im Chatroom waren. „Leute, sagt Hallo zu Guinevere. Sie ist eine alte Freundin aus einem anderen Chatroom, und man hat viel Spaß mit ihr. Damit meine ich, dass sie
sehr, sehr
verdorben ist.“
„Ich mag’s verdorben“, schrieb ein gewisser Kater.
Sofort erschien ein weiteres Fenster auf dem Bildschirm. „Wir haben eine Menge nachzuholen“, sagte Tiger Lilly. „Als ich zum letzten Mal von dir gehört habe, wolltest du doch zum Tête-à-tête mit diesem sexy Typen, der Dom Pérignon mochte und sich Schwarzer Ritter nannte. Wie ist es denn gelaufen? War er so, wie er geschrieben hat? Oder nur ein weiterer Windbeutel? Komm, Mädchen, erzähl!“
LuAnn schaute zu Kate. „Der Schwarze Ritter. Kennst du den Namen?“
Kate schüttelte den Kopf. „Versuch herauszufinden, ob sie irgendetwas von ihm weiß und ob er noch existiert.“
„Da muss ich wohl ein bisschen improvisieren.“ LuAnns Finger flogen über die Tastatur. „Um ehrlich zu sein, der kleine Mistkerl hat mich versetzt“, schrieb
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